
Auf der GfM-Jahrestagung 2021 “Wissensökologien” an der Universität Innsbruck hat die AG Fernsehen ein Panel zum Thema “Audio-Visualisierungsstrategien in “Wissensformaten” des Fernsehens” ausgerichtet. Hintergrund des Panel-Thema bildete die von uns beobachtete Tradition von Formaten und Segmenten audiovisueller Wissensvermittlung im herkömmlichen TV-Programm sowie deren Transformation durch die Online-Mediatheken oder die Social-Media-Erweiterungen der öffentlich-rechtlichen Sender und fernsehverwandter Video-Plattformen. Das Panel beleuchtete die Hochkonjunktur von Erklär- und Gebrauchsfilmen in der digitalen Medienkultur, die sich u.a. in unzähligen Infotainment-Formaten wie z.B. den Youtube-Kanälen MaiLab oder Mr.Wissen2Go niederschlägt.
Wir haben uns gefragt: Wie können Wissen und Wissenschaft in einem so heterogenen Medium wie dem des Fernsehens vermittelt werden? Welche genre- und zielgruppenspezifischen Strategien stecken hinter den vielfältigen Audio-Visualisierungen von Wissen, die von Dioramen oder plastischen Modellen, die z.B. auf Playmobil-Figuren zurückgreifen, über interaktive Spiel-Angebote bis hin zu AR- und VR-Inszenierungen reichen? Welche Ansprüche und welche Zugriffe unterscheiden Wissensformate von Informationssendungen?
Dieses Special Feature stellt Beiträge aus dem GfM-Panel vor, die sich als kurze, prägnante Impulse zur Wissensvermittlung und Wissenspopularisierung durch televisuelle Formate verstehen und die wir hiermit zur Diskussion stellen wollen.
DIORAMEN UND PLAYMOBIL: Im ersten Beitrag blickt Anne Ulrich (@anneulrichtv) zunächst auf ein Medium der Wissenspopularisierung im 19. Jahrhundert, bei dem das Licht die Hauptrolle spielte: das Diorama. Menschen ließen sich von den neuen Möglichkeiten, große Gemälde scheinbar in Bewegung zu versetzen, verzaubern, und lernten dabei Neues über Architektur, Landschaft oder Geschichte. Von diesem audiovisuellen Wissensformat avant la lettre springt der Beitrag in die 1990er und 2000er Jahre, in denen das Diorama im deutschen Late-Night-Fernsehen als uneigentliches Formzitat eine Renaissance erlebte – liebevoll aus einer Unmenge an Playmobilfiguren zusammengebastelt und ironisch kommentiert.
WISSENSFORMATE ZDF: Ebenso wie Dioramen neue Zugänge zu einem individualisierten Wissen ermöglichten, sind für die Wissensangebote des ZDF verschiedene Zugänge zu durch Sigrun Lehnert beobachtet. Diese sind intentional auf die Zielgruppe und den gegenwärtigen Kontext in der Gesellschaft verhandelter Themen abgestimmt. Neil Postman (1970) schreibt: „Media ecology looks into the matter of how media of communication affect human perception, understanding, feeling, and value; and how our interaction with media facilitates or impedes our chances of survival. The word ecology implies the study of environments: their structure, content, and impact on people.” Zwar geht es in der Rezeption der ZDF-Wissensformate im klassischen Fernsehen, als digitales Format in 3D, VR, 360 Grad oder sogar als Podcast, nicht um das “Überleben”, doch um das Verständnis des Inhalts, das durch die Zugänge und Präsentationsweisen gelenkt wird. Die neuen digitalen Formate verlangen für die sinnhafte Rezeption nicht nur ein Interesse an den Inhalten, sondern auch eine digital Literacy.
VR UND AR: Kim Carina Hebben (@kimhebben) und Christine Piepiorka (@christinepiepiorka) untersuchen weiter wie Wissen über interaktive Spiel-Angebote bis hin zu VR- und AR-Inszenierungen übermittelt werden können. Neben den ‘intra-televisuellen’ Sendungen werden ebenso unterschiedliche „anhängende oder vernetzte“ Medialitäten abseits des Fernsehgeräts thematisiert, so etwa die Mediathek-, App- und Social-Media-Formate der TV-Sender ARTE und Pro 7. Was tragen diese trans- und crossmedialen Angebote zur Wissens- oder Wissenschaftsvermittlung bei?
HALBWISSEN? Führt die Popularisierung von Wissen zu Halbwissen und gar zu einer Verfälschung wissenschaftlicher Ergebnisse? Oder resultiert aus der massenhaften Verbreitung von Wissen nicht vielmehr eine Massenaufklärung? Die Frage ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder diskutiert worden, beispielsweise im Kontext von Debatten über das Historytainment, in der es um die Frage ging, ob Kino und Fernsehen durch ihre massentauglichen Darstellungen historisches Wissen nicht banalisieren oder – wie sich in neueren Diskussionen zeigt – nicht vielmehr eine andere Art des Wissens generieren. Ganz ähnlich ist die Debatte nun auch bei der Popularisierung naturwissenschaftlichen Wissens zu beobachten, die ebenfalls eine lange Vorgeschichte hat und mithin auch ein Geschäftsmodell. Im folgenden Beitrag befasst sich Thomas Weber mit neuen Formaten des Wissenschaftsjournalismus im Fernsehen, die sich inzwischen vor allem außerhalb des Fernsehens auf Social Media Plattformen wiederfinden.