von Jana Zündel (@janazuendel)
Ob nebenher laufend, aus Gewohnheit eingeschaltet, in der Gruppe zelebriert oder alleine ‚durchgesuchtet‘: Serien gehören zu unserem Alltag, sie begleiten und beanspruchen unsere Freizeit – ein Umstand, der sich durch Mediatheken, Streaming-Dienste und Video-Plattformen nur noch verstärkt hat. Aufgrund dieses Überangebots und ihrer Omnipräsenz in der digitalen Medienkultur schlagen heute allerdings die meisten Serien keine hohe Wellen mehr wie noch die wöchentlichen „Straßenfeger“ à la Dallas und Dynasty, Lindenstraße oder zuletzt Game of Thrones. Obgleich sich gerade die im klassischen Fernsehen ausgestrahlten Serien durchaus noch als dezidierte Ereignisse in linearen Programm darbieten, so verteilt sich die Aufmerksamkeit der TV-Zuschauer:innen und Web-User:innen offenbar auf zu viele Serien auf diversen Sendern und Plattformen gleichzeitig. Auch hat sich der ‚Buzz‘ um Serien weitestgehend ins World Wide Web verschoben, wo angesichts spezialisierter Fan Communities, exklusiver Streaming-Inhalte und persönlicher Filterblasen nur die wenigsten Serien noch ins Bewusstsein einer größeren, internationalen oder transkulturellen Öffentlichkeit rücken und eine entsprechend längere Resonanz haben.
Hype und Memeability von Euphoria
Zu Beginn des Jahres (Januar–Februar 2022) bot die kontroverse HBO-Serie Euphoria eine solche Ausnahme-Erscheinung. Die zweite Staffel um die von Beziehungschaos, Drogensucht und Identitätskrisen geplagten Gen-Z-Teenager verdoppelte nicht nur ihre Zuschauerschaft (vgl. Business Insider, 15.02.2022), sondern brachte mit jeder Episode erneut einen neuen Schwall an Memes, GIFs und TikToks sowie Mash-up-Videos, die all diese memetischen (Bewegt-)Bildformen zusammenbringen, hervor. Ein solches Mash-up ist auch „The Euphoria Crack“ von YouTube-User Sim Mallec, das die gesamte Staffel aufs Korn nimmt und exemplarisch ist für die wilden Kompilationen aus AV-Material unterschiedlichster Herkunft, Qualität und Zweckmäßigkeit.
Die Gründe für den (Social) Media Hype um Euphoria – nicht nur unter jüngeren Publika – sind durchaus vielfältig, u.a. werden die nostalgischen bis ikonischen Bilder, die (mitunter anachronistisch) verwendeten Musikstücke und der Original Score, die Schauspielleistungen, die Mode und die allgemeine ‚TikTok.Fähigkeit‘ unzähliger Szenen angeführt (u.a. Social Studies, 09.03.2022). All diese Attribute sprechen für die ‚Memebarkeit‘ der Serie, d.h. die breite An- und Verwendbarkeit ihrer Bilder, Dialoge oder Soundtracks in diversen medialen Kontexten (Appropriation).
Inside a Crack Edit: How to mashup TV
Das oben erwähnte „Crack Edit“ (d.h. ein mockierender Zusammenschnitt, aus dem Engl. „to crack someone up“) enthält jede Menge solcher memeable moments aus Euphoria, die wegen ihrer Doppelzüngigkeit, Drastik und Melodramatik gefeiert, ironisiert oder verspottet werden. Die hochemotionalen Situationen und theatralischen Handlungen der Figuren wirken nicht selten unfreiwillig komisch, z.B. die hysterischen bis psychotischen Reaktionen der Schülerin Cassie, die episodenlange, parcours-artige Flucht der drogensüchtigen Rue vor Familie und Polizei oder die unangemessene Tirade gegenüber Frau und Kindern – gepaart mit einem unglücklich getimten Coming-out – des Familienvaters Cal. Diese over-the-top-Momente werden als Fragmente der ursprünglichen Szene entnommen und durch Bildunterschriften (Captions) oder Emojis, durch unpassende musikalische Untermalung (z.B. dem Original Theme aus Curb your Enthusiasm) oder durch Zwischenschnitte auf andere populäre Memes (u.a. Wendy Williams‘ „She’s an icon“-Zitat) rekontextualisiert. Die pointierten One-Liner der temperamentvollen Maddy („Bitch, you better be joking!“) oder von Cassies entnervter Mutter („Oh she needs a fucking exorcism“) setzen Euphoria-Cracks wie das obige ein, um die Serie mit sich selbst zu kommentieren. Die üppigen und einprägsamen Visuals (etwa die kunstvollen Tableaus am Ende in Episode 4 oder die Snapshot-artigen Aufnahmen während der Silvester-Party in Episode 1) wiederum werden in einigen Mash-ups nochmals akzentuiert und bejubelt. Gemeinsam ist diesen meme-baren Momenten offenbar, dass sie enorm anschlussfähig sind, also affektive Reaktionen und unmittelbare Assoziationen bei einem entsprechend versierten (media-savvy) Publikum auslösen. In Remix- und Mashup-Videos entladen die jeweiligen Produzent:innen ihr geballtes popkulturelles Wissen, während die Rezipient:innen ihres auf die Probe stellen. Denn: Können die intertextuellen und intermedialen Brückenschläge nicht rekonstruiert werden, bleiben die Referenzen also unerkannt, verpufft häufig der humoristische Effekt.

Die Memefication von Serien
Videoplattformen wie YouTube und Bewegtbild-basierte Social-Media-Dienste wie TikTok, quellen über mit Remixen, Mashups und anderen memetischen Formen. Fernseh- und Streaming-Serien sind wesentlicher Bestandteil und Katalysator dieser umfassenden Memefication in unserer Medienkultur. Sie liefern nicht nur das Material für Memes und Mashups, sondern sind oftmals selbst schon welche. Mal ahmen sie in nur einer Einstellung ein berühmtes Kunstwerk nach (z.B. die „Drei Affen“ in Friends, S01E21; „Nighthawks“ in That 70’s Show, S01E08), mal lassen sie ihre Figuren in Masken oder Kostümen berühmter Mediencharaktere oder –personae auftreten (u.a. die Dali-Masken in La Casa del Papel; das Ghostbusters-Team in Stranger Things, S02E02 – sowie prinzipiell jede Halloween-Episode beliebiger Serien). Mal führen sie berüchtigte Filmszenen neu auf (z.B. die Film-Noir- und Hitchcock-Imitationen in Pretty Little Liars; der Spiderman-Upside-Down-Kuss in The O.C., S02E14), mal persiflieren sie die komplette Ikonographie einer Filmvorlage (sämtliche Anspielungen auf die Marvel- und DC-Blockbuster in The Boys, div. Episoden). Das Phänomen ist nicht neu, da Fernsehen sich schon immer bei anderen Medien- und Kunstformen bedient, deren Darstellungsweisen und –traditionen übernommen, verarbeitet und transformiert hat (vgl. dazu etwa Bleicher 2011). Als „Reproduktions- und Verwertungsmaschine für alle möglichen Visualisierungen“ (Adelmann 2015, 99) beherrscht Fernsehen das Memen, Collagieren und Kompilieren wie kaum ein zweites Medium. Seine Serien, ganz gleich auf welchem Sender oder welcher Plattform sie veröffentlicht werden, sind Mashups und Archive zugleich: Zum einen bedienen sie zeitgenössische Sehgewohnheiten und kurzweilige Sensationsbedürfnisse. Zum anderen füttern sie das kollektive Bild- und Kulturgedächtnis.
Mashups made by Euphoria
Euphoria ist also nicht einzigartig in seinen memetischen Qualitäten, die u.a. sichtbar werden in der an Polizeifilme und Cop Shows angelehnten Sequenz (S01E07) oder in den von Zendaya und Hunter Schafer nachgestellten Liebespaar-Szenen (S02E04) u.v.m. Die Serie praktiziert aber alle o.g. Memefikationen und bewegtbildlichen ‚Vermanschungen‘ mit einer derartigen Frequenz und Intensität, dass sie sogar im aktuellen TV-Überangebot und in der von Memes überschwemmten Webkultur kaum zu übersehen ist. Während ihrer achtwöchigen Erstausstrahlung hat die zweite Staffel, ihres Zeichens selbst ein Mashup aus Medienästhetiken, -genres und -formaten, konstant buzzworthy content produziert, den wiederum unzählige Memes und Kompilationen aufgegriffen und weiterverbreitet haben. Ganz abgesehen davon, dass ein innerdiegetisches Theaterstück eine komplette Folge lang vergangene Szenen erneut aufführt (S02E07), die Serie sich also schon selbst ‚gememt‘ hat. So ist Euphoria ein Paradebeispiel dafür, dass Fernseh- und Streaming-Serien ihre eigene Memefication von Anfang an mitdenken, ihr oftmals sogar vorauseilen.

Memefizierte Alltagskultur
Serien legen es darauf an, in der einen oder anderen Weise nachgebildet zu werden: Bestimmte Figuren, u.a. „comic relief characters“ oder „scream queens“, die regelmäßig One-Liner von sich geben, sind GIFs auf zwei Beinen. Dramatische Veränderungen der äußeren Erscheinung eines TV-Charakters bieten sich dafür an, in diversen Meme-Templates verarbeitet zu werden („Me – Also me“; „How it started – how it’s going“). Komische oder dramatische Gesichtsausdrücke sowie absurde Szenen, die intersubjektiv nachvollziehbar (relatable) sind bzw. sich auf unterschiedlichste Alltagssituationen projizieren lassen, werden wie selbstverständlich in TikToks verwandelt oder in Crack Edits verwurstet. Expressive, doppeldeutige oder suggestive Motive bilden die perfekte Vorlage für Thumbnails und Fan Art. Bildkompositionen mit hohen Schau- und Spektakelwerten sind bereits Instagram-Posts, bevor sie überhaupt auf der Plattform landen. Dieser Zirkelschluss mit dem ‚Vokabular‘ der (digital) media literacy trägt dazu bei, dass Serien ihren Platz in unserer mediatisierten Alltagskultur festigen. Zwar mögen die meisten von ihnen nicht länger öffentlichkeitswirksam sein und eher in kleineren Interessengruppen oder Fan-Bubbles goutiert werden. Dennoch liefern Serien, wie auch Fernsehen insgesamt, kontinuierlich Stoff für Anschlusskommunikationen. All diese memetischen Formen füllen ebenso unsere Freizeit(en) wie die Serien, die ihnen das Material liefern. Und das in einem mittlerweile unüberschaubaren Ausmaß. Schauen wir überhaupt noch die Serie an sich oder sehen wir uns bald nur noch die Memes und Mashups an?
Literatur
Adelmann, Ralf (2015): Visualität und Kontrolle: Studien zur Ästhetik des Fernsehens. Münster: LIT.
Bleicher, Joan Kristin (2011): Kunst + Kunst = Serie. Amerikanische Serienvorspänne im Spannungsfeld von bildender Kunst und Werbung. In: Filmkunst: Studien an den Grenzen der Künste und Medien. Hg. v. Henry Keazor, Fabienne Liptay & Susanne Marschall. Marburg: Schüren, S. 289–303.


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