#endthestigma Wie Funk psychischen Krankheiten begegnet

Von Melanie Mika

Borderline-Persönlichkeiten, Schizophrenie, Depressionen oder der berüchtigte psychopathische Serienmörder: Persönlichkeitsstörungen und psychische Krankheiten sind ein regelmäßiges Thema in linearen Fernsehen und Serien, in fiktionalen wie dokumentarischen Formaten. Allerdings stellen empirische Studien zur Darstellung psychischer Krankheiten den Medien seit Jahrzehnten ein schlechtes Zeugnis aus: Medien stigmatisieren psychisch erkrankte Personen, indem sie entweder als überproportional gewalttätig dargestellen oder ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung abgesprochen wird – typischerweise im Bezug auf Berufstätigkeit oder romantische Beziehungen. Pointiert gesagt: Psychisch kranke Figuren oder Personen sind im Fernsehen entweder die verrückten Serienmörder:innen – oder hilflose Personen, die keinen Job behalten oder stabile Beziehungen eingehen können.

Seit ich mich mit der Darstellung von psychischen Krankheiten in Serien beschäftige, diskutiere ich regelmäßig in Seminaren mit meinen Studierenden sowohl Fernsehbeispiele als auch Studien, wie die des Think Tanks Annenberg Inclusion Initiative. Und immer wieder stellt sich uns dann die Frage, ob es auch positive Beispiele gibt: Formate, die einen angemessenen Umgang mit mentalen Problemen zeigen, indem sie aufklären, die Behandlung und den Alltag Betroffener zeigen – und vor allem Figuren oder Personen nicht auf ihre Krankheit reduzieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass Figuren nicht mit herabwürdigenden Begriffen bezeichnet werden oder dass psychische Krankheiten lächerlich gemacht werden.

Deshalb habe ich im letzten Sommer einige Close Readings zu Mental-Health-Themen im Online-Content-Netzwerk Funk gemacht. Funk ist das Content-Netzwerk von ARD und ZDF, das sich an die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen richtet und eine Reihe von Youtube-Formaten publiziert. Meine These war, dass Funk durch seinen öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag besonders sensibel sein sollte, insbesondere bei Formaten, die sich an eine junge Zielgruppe richten.

Ich habe mir drei Kanäle angesehen: Psychologeek (Ratgeber- und Aufklärungsformat), Mailab (Aufklärung und Wissenschaftsjournalismus) und Die Frage (journalistische Reportage). Alle drei Kanäle behandeln nicht ausschließlich psychische Krankheiten, thematisieren sie aber immer wieder. Meine Analyse zeigt mehrere Strategien, mit denen Funk Stereotypen und Stigmatisierung begegnet. Drei solcher Strategien möchte ich genauer darstellen: das explizite Benennen von Stereotypen und deren anschließender Entlarvung, ästhetisches Spielen mit Klischees und die Individualisierung von Erfahrungen durch Protagonist:innen der Zielgruppe.

Benennen von Stereotypen und ihre Einordnung

Diese Strategie findet sich sehr häufig in den Kanälen von Mailab und Psychologeek. Stereotype werden benannt, als Zitate in den Raum gestellt oder als Frage formuliert. Anschließend werden sie mit wissenschaftlichen Quellen eingeordnet, entlarvt oder relativiert.

Das Video zu Schizophrenie beispielsweise formuliert Vorurteile und blendet diese als Kacheln ein. Diese Vorurteile dienen in dem Youtube-Video gleichzeitig als Kapitelmarken.

Video-Beitrag „Schizophrenie – was ist dran an den Vorurteilen“ des Kanals Psychologeek vom 14.09.2021.

Während die Vorurteile knapp formuliert werden, beantwortet Moderatorin Pia sie nuanciert mit Verweis auf wissenschaftliche Studien. Sie betont, dass die meisten Menschen mit Schizophrenie keine Straftaten begehen und die meisten Straftäter:innen keine Schizophrenie haben. Gleichzeitig erklärt sie, dass paranoide Episoden und Wahnvorstellungen dazu führen können, dass Menschen mit Schizophrenie sich unberechenbar verhalten und andere gefährden. Sie bezieht sich dabei auf verschiedene Studien und fasst diese zusammen; die Thumbnails der Paper werden kurz eingeblendet. Diese Quellen sind auch in der Videobeschreibung verlinkt.

Ironisches Spiel mit Klischees

Die Strategie, Vorurteile und Stereotype übertrieben darzustellen, sodass sie nicht mehr ernst genommen werden, findet sich ebenfalls vor allem bei den Kanälen Mailab und Psychologeek. Der wichtige Unterschied zur oft kritisierten humoristischen Darstellung psychischer Krankheiten ist, dass der Humor hier eindeutig auf Kosten derer geht, die diese Stereotype verbreiten – nicht auf Kosten Betroffener. Aber auch wenn sich das fraglos aus dem Kontext erschließt, reproduzieren die Kanäle dadurch natürlich auch immer wieder in ihren Reenactments diese Vorurteile.

Am deutlichsten wird das für mich an den Vorschau-Kacheln, die für die jeweiligen Videos auf YouTube festgelegt werden – und mit denen die Videos beispielsweise in einer Suche erscheinen. Hier gilt die (stereotype) Faustregel: Keine Diskussion über Psychopathie ohne bedrohliches Messer in der Hand. Nun wird niemand, die oder der die Videos anschaut, Mailab oder Psychologeek ernsthaft unterstellen, Psychopathen und Serienmörder gleichzusetzen. Allerdings lassen sich die Vorschaukacheln mitunter nicht von unseriösen oder reißerischen Videos unterscheiden, die es natürlich auch auf YouTube gibt. Das muss man nicht schlimm finden. Für mich zeigt sich hier aber, dass sich auch öffentlich-rechtliche Medien der Logik der Algorithmen von Social Media Plattformen nicht entziehen können.

Video-Beitrag „So gefährlich sind Psychopath:innen wirklich“ des Kanals Psychologeek vom 17.02.2021.
Video-Beitrag „Die Dunkle Triade | Teil 3: Psychopathie“ des Kanals Mailab vom 27.04.2017.

Individualisierung der Erfahrungen

Diese Strategie ist das Anliegen des YouTube-Kanals Die Frage. Die Frage ist ein Reportagekanal, der häufig mentale Probleme und Krankheiten thematisiert. Das Format dieses Kanals besteht darin, dass sich die Redaktion eine Frage stellt und diese mit verschiedenen Reportagen und unterschiedlichen Protagonist:innen beantwortet. Die verschiedenen Videos werden dann auf dem Kanal zu einer Playlist unter der jeweiligen Frage zusammengefasst. Eine dieser Playlists/Fragen lautete 2021: „Warum sind psychische Krankheiten immer noch ein Tabu?”

In einer Reportage zu eben dieser Frage begleitet der Moderator Frank die 25jährige Yori, die mit hebephrener Schizophrenie diagnostiziert wurde. Anders als bei Mailab oder Psychologeek versucht dieser Kanal nicht, sich der psychischen Krankheit wissenschaftlich zu nähern, sondern, indem er der Protagonistin viel Raum gibt. Es geht in dem Video um Yoris Erfahrungen mit ihrer Krankheit, auch um Stigmatisierungserfahrungen, aber vor allem viel um ihren Alltag: Frank und Yori gehen im Wald spazieren, besuchen Yoris Lieblingsbaum, sind in ihrer Wohnung und sprechen mit ihrem Freund. Für eine psychologische Einordnung von Schizophrenie verweist Frank auf das Video von Psychologeek; in diesem Format kommen Expertinnen dagegen nur selten direkt zu Wort (eine Ausnahme ist u.a. ein Video, in dem eine Protagonistin von ihrer Suizidalität erzählt.)

Video-Beitrag „Schizophrenie: In meinem Kopf ist Chaos | Warum sind psychische Krankheiten noch immer ein Tabu? #3“ des Kanals Die Frage vom 14.09.2021.

Fazit

Ein Überblick über die Playlists verschiedener Funkkanäle und eine genauere Analyse einiger Videos bestätigt den Eindruck: Die Formate sind sich offenbar sehr bewusst, dass sie – als öffentlich-rechtlichen Angebote – an einen Bildungsauftrag gebunden sind und zugleich über sensible Themen aufklären. Die Off-Texte und Moderationen sind sorgfältig formuliert; so sprechen sie beispielsweise von „Personen mit Schizophrenie“ statt von „den Schizophrenen“ und verwenden inklusive Sprache. Alle Videos betonen immer die Wichtigkeit, sich Hilfe zu suchen und Therapien anzunehmen; entsprechende Links und Telefonnummern sind in den Videobeschreibungen verlinkt. Wortwahl und Definitionen beziehen sich auf wissenschaftliche Quellen (und verlinken diese ebenfalls).

Sie machen also vieles ‚richtig‘ im Sinne einer diversitätssensiblen Praxis öffentlicher Kommunikation und Mediengestaltung. Allerdings – es wird deutlich, dass auch Funk-Kanäle sich auf einem Markt des kommunikativen Überangebots bewegen und nicht aus der aufmerksamkeitsökonomischen Logik sozialer Medien ausbrechen können. Dabei besitzt das Spiel mit dem Klischee offenbar eine eigene Resilienz. Zumindest die Verkaufsoberfläche – der Thumbnail – fällt den Stereotypen zum Opfer, die doch eigentlich dekonstruiert werden sollen.

Literatur

Signorielli, Nancy. “The Stigma of Mental Illness on Television.” Journal of Broadcasting & Electronic Media 33, no. 3 (1989): 325–32.

Smith, Stacy L., Marc Choueiti, Angel Choi, Katherine Pieper, und Christine Moutier. „Mental Health Conditions in Film & TV: Portrayals that Dehumanize and Trivalize Characters“. USC Annenberg Inclusion Initiative, 2019. https://assets.uscannenberg.org/docs/aii-mental-health-2022-05-02.pdf.