Die Kulturtechnik des Zapping als programm-typische Form

von Monika Weiß @drweissmo

Streaming, Videoplattformen und Mediatheken, aber auch soziale Netzwerke machen es den Zuschauenden möglich, sich ‚Fernseh‘-Inhalte quasi Untertan zu machen. Jegliche Serie, jedes Format und alle Sendungen – ausgenommen natürlich live stattfindende Ereignisse, die nur nachträglich rezipierbar sind, wenn man nicht zur richtigen Zeit ‚einschaltet‘ – lassen sich auf diese Weise dem eigenen Alltag und den eigenen Bedürfnissen entsprechend starten und beenden bzw. in Snippets häppchenweise rezipieren (Hebben 2025); eine Freiheit, die niemand mehr missen möchte. Die Folie, anhand derer diese Freiheit gemessen wird, ist das Programmfernsehen, dessen Struktur sich die Zuschauenden im Moment des Schauens anpassen müssen: Man kann nur das sehen, was gerade im Programm läuft und auch nur zu der Zeit, zu der es gesendet wird.

Programm

Medienhistorisch gesehen sollte nicht vergessen werden: Fernsehen ist – ebenso wie das Radio – eigentlich als „ein Medium der Verbreitung konzipiert worden, nicht als ein von der Speicherung her gedachtes und konstruiertes“ (Hickethier 2010: 157). Die gesendeten Elemente erhalten über diese Einordnung etwas Flüchtiges und Direktes, was wiederum im unendlichen Programmfluss aufgeht, da die Fernsehprogramme bei den allermeisten Sendern heutzutage nicht enden. Unterschiedliche Inhalte und Formen sind im Programm aneinandergefügt und verschiedene Programme laufen parallel nebeneinander.

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Zapping

Spätestens in den 1980er Jahren hat die Möglichkeit, mit der Fernbedienung bequem vom Sitzplatz aus umschalten und so zwischen einer Vielzahl von Sendern wählen zu können, zur Form des Zapping geführt. Seither werden Fernsehsendungen oftmals nicht mehr von Anfang bis Ende angesehen, geschweige denn dass Zuschauende einen ganzen Abend bei einem Sender und dessen Programm verharren (Hickethier 2010: 288). Denn beim Zapping wird nicht in der Position des Rezipierens verharrt, sondern es wird eingegriffen, um ein subjektives und schier vom Zufall geleitetes Fernseherlebnis für sich zu gestalten (Winkler 1991: 152). Die vom jeweiligen Programm geschaffenen Sinneinheiten werden so durchbrochen und über den (ständigen) Wechsel zwischen den Sendern und Sendungen für sich neu zusammengestellt.

Das ist jedoch nur möglich, da mehrere, verschiedene und parallellaufende Programme überhaupt existieren (Schwaab 2012: 120). Das Umschalten führt zu Überraschungen, zu neuen, mehr oder weniger spannenden Inhalten, aber auch zum Verlust der anderen, denn die Zuschauenden nehmen immer in Kauf, wichtige Inhalte des zuvor gewählten Programms zu verpassen (Winkler 1991: 69). Zapping ist also nicht nur Umschalten oder Wegschalten, sondern nach Schwaab vielmehr eine Tätigkeit des Suchens, die es den Zuschauenden ermöglicht, bei einem Inhalt oder Thema zu bleiben, „von dem sie nicht wussten, dass sie ihn gesucht haben“ (2012: 121).

Streaming

Beim Streamen hingegen oder dem bewussten Aufrufen einer Sendung in der Mediathek gibt es diesen Überraschungseffekt nicht. Die Sendungen finden nicht die Zuschauenden, sondern sie finden die Sendungen, denn es gibt keine Zusammenstellung als Programmfluss. Die Streaminganbieter stellen ihren Content vielmehr als ständig existentes Gesamtpaket zur Verfügung, aus dem andauernd gewählt werden kann – und muss, eine Tätigkeit, die durchaus überfordernd wirken und darüber bis hin zum Abschalten führen kann.

Zapping und/oder Streaming?

Zapping gab und gibt der Medienerfahrung eine Form, die das Streaming ihr nicht geben kann, auch gerade wenn es sich um die gleichen Inhalte handelt. Nachrichten, eine Dokumentation, ein Disney-Film und die zehnte Folge einer Sitcom verbinden sich im Fluss des Zapping zu einer Wahrnehmungseinheit. Bei der direkten Ansteuerung jedes einzelnen Formats kann dies nicht gelingen, schon allein, da einerseits alle jeweils am Anfang beginnen. Beim Durchschalten der Programme ist dies zumeist nicht der Fall. Andererseits muss man sich für jede einzelne Sendung auch bewusst entscheiden, muss sie bewusst auswählen und ansteuern.

Beide Formen jedoch führen zur individuellen Rezeption, beide „bestimmen, wie gesehen, wie gehört, wie gefühlt und wie zusammengelebt wird. Die menschliche Wahrnehmung wird durch die Technik strukturiert und geformt“ (Weiß 2018: 115). Streaming überträgt demnach Fernseherfahrung im Vergleich zum Zapping in ein neues Verhältnis bzw. etabliert veränderte Arten der Rezeption (Spahr 2000: 53).

Endet also das Zapping-Zeitalter mit dem Aufkommen des Streamings? Interessant ist schon, dass jegliche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen seit einigen Jahren so gut wie beendet zu sein scheint. Dennoch: Zapping ist eine programmfernsehtypische Aneignungsform, die, solange es Programm gibt, neben dem Streaming bei Zuschauenden existent bleibt. Und lässt man sich darauf ein, kann sie durchaus überraschen, informieren und unterhalten – zu Themen, von denen man nicht ahnte, dass sie einen interessieren.

Literatur

Hebben, Kim Carina (2025): Keep the Snippet Alive: Wenn Serien im Feed weiterleben. In: FERNSEHMOMENTE, 4, S. 1-7.

Hickethier, Knut (2010): Einführung in die Medienwissenschaft. 2. Aufl., Stuttgart/Weimar.

McLuhan, Marshall (1992): Die magischen Kanäle. Understanding Media. Neuaufl. Düsseldorf/Wien.

Schwaab, Herbert (2012): „Ich weiss ja nicht, was ich suche“. Betrachtungen zu Flow, Segmentierung, liveness und Subjektivität des Fernsehens im Internet. In: montage AV. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 21/1, S. 115–132.

Spahr, Angela (2000): Magische Kanäle. Marshall McLuhan. In: Daniela Kloock und Angela Spahr (Hg.): Medientheorien. Eine Einführung. 2. korr. u. erw. Aufl., München, S. 39–76.

Weiß, Monika (2018): Zur Wiederverwertbarkeit von Serien: Mit Marshall McLuhan über das Fernsehen zur DVD. In: Sven Stollfuß und Monika Weiß (Hg.): Im Bild bleiben. Perspektiven für eine moderne Medienwissenschaft. Marburg, S. 113–126.

Winkler, Hartmut(1991): Switching, Zapping: Ein Text zum Thema und ein parallellaufendes Unterhaltungsprogramm. Darmstadt.

Wulff, Hans J. (2003): Umschalten / Zapping: Strategien der selektiven Fernsehnutzung. Eine Arbeitsbibliographie. Hamburg.

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