Upstairs, Downstairs: Fernsehen und Plattformen zwischen Verführung und Ermächtigung

Titelfolie Panel der AG Fernsehen

von Kim Hebben (@kimhebben)

Bericht zum Panel der AG Fernsehen auf der GfM-Jahrestagung am 18. September 2025 in Paderborn
Mit Beiträgen von Prof. Dr. Sven Stollfuß, Saskia Prinzler, Prof. Dr. Christine Piepiorka, Dr. Monika Weiß, Kim Hebben und Dr. Herbert Schwaab, Chair: Jana Zündel

Die GfM-Jahrestagung 2025 an der Universität Paderborn stellte die *MACHT*frage in den Mittelpunkt und untersuchte, wie Macht in Medien, Gesellschaft und Politik wirksam wird und wirksam gemacht werden kann. Vor diesem Hintergrund richtete das Panel der AG Fernsehen den Fokus auf Macht, Ermächtigung und Publikumsbeteiligung im Kontext von Fernsehen und Streaming-Plattformen.

Fernsehen als Ort der Macht

Fernsehen ist seit jeher ein Medium der Macht – sowohl inhaltlich als auch strukturell. Es inszeniert Machtverhältnisse in seinen Narrativen, beeinflusst gesellschaftliche Diskurse und bestimmt, wer Sichtbarkeit erhält. Während traditionelle Fernsehsender und moderne Streaming-Plattformen durch Auswahl, Algorithmen und wirtschaftliche Interessen steuern, welche Inhalte ein breites Publikum erreichen, entwickeln Zuschauer:innen zunehmend eigene Formen der Aneignung und Mitgestaltung. Sie kommentieren, erweitern und unterlaufen etablierte Strukturen, sei es durch transmediales Erzählen oder investigative Communities. Doch diese Art der Partizipation wirft die Frage auf: Wer *macht* letztlich das Fernsehen – die Produzent:innen oder die Nutzer:innen?

Unter dem Titel Upstairs, Downstairs: Fernsehen und Plattformen zwischen Verführung und Ermächtigung widmete sich das Panel der AG Fernsehen der Frage, wie Fernsehen und Streaming-Plattformen Macht ausüben, reflektieren und zugleich herausfordern. Ob durch algorithmische Auswahl, datenbasierte Produktion oder interaktive Fanpraktiken, das gegenwärtige Fernsehen ist nicht nur ein Dispositiv der Sichtbarkeit, sondern ein komplexes System von Steuerung, Teilhabe und kultureller Aushandlung. Das Panel beleuchtete diese Dynamik aus vier Perspektiven.

Vier Perspektiven auf Macht und Ermächtigung

Daten machen Fernsehen? „funk“ zwischen Datenpraktiken und Nutzer:innenausrichtung

Saskia Prinzler und Sven Stollfuß analysierten das ARD/ZDF-Contentnetzwerk funk als Beispiel für die Plattformisierung öffentlich-rechtlicher Medien. Datenpraktiken, so ihre These, sind zugleich Werkzeuge der Nutzer:innenorientierung und Instrumente hegemonialer Kontrolle. Sie prägen Inhalte, Zielgruppen und Organisationskulturen und werfen die Frage auf, ob Daten im Fernsehen heute eher „ermächtigen“ oder „verführen“. Dabei zeigten sie, dass datengetriebene Strategien wie algorithmisches Monitoring oder automatisierte Auswertungen nicht nur Programmplanung und Personalentscheidungen beeinflussen, sondern langfristig auch den öffentlichen Auftrag neu definieren.

Dark Patterns im Streaming und auf Social Media

Christine Piepiorka zeigte, wie Dark Patterns – manipulative Designstrategien auf Streaming- und Social-Media-Plattformen – Zuschauer:innenverhalten subtil lenken und als „dunkle und versteckte Macht“ im Hintergrund die Fäden ziehen. Mechanismen wie Autoplay, Fake Urgency oder personalisierte Empfehlungen erzeugen Aufmerksamkeit als Ware. Doch Piepiorka fragte auch: Liegt in der Kenntnis dieser Strategien nicht eine Form der Selbstermächtigung? Zwischen medienethischer Reflexion und Nutzer:innenkompetenz bleibt das Verhältnis von Plattform und Publikum ambivalent. Anhand konkreter Beispiele wie Netflix’ Autoplay-Funktion oder TikToks Endlos-Scroll-Mechanik machte sie deutlich, wie Designentscheidungen auf psychologische Reize setzen und das Verhältnis zwischen Mediennutzung, Kontrolle und Abhängigkeit neu strukturieren.

Wer macht Fernsehen transmedial? Paratextuelle Anbindungen

Monika Weiß und Kim Hebben widmeten sich der transmedialen Logik von Fernsehserien, die sich über Clips, Thumbnails und Recaps auf Plattformen fortsetzen. Paratexte, so ihr Befund, sind heute nicht mehr bloß Beiwerk, sondern zentrale Orte algorithmischer Lenkung und zugleich Zonen kreativer Aneignung. Wenn Fans Szenen neu montieren, KI-generierte Trailer produzieren oder alternative Storylines entwerfen, verschiebt sich das Machtgefüge zwischen institutioneller Kontrolle und fanbasierter Selbstermächtigung. Paratexte agieren somit als Schauplätze von Macht. Sie zeigten zugleich, dass Plattformen wie Netflix Fanästhetiken und Plattformstrukturen adaptieren, etwa durch vertikale Kurzclips oder personalisierte Vorschaubilder, und damit die Grenze zwischen partizipativer Kreativität und strategischem Content-Marketing zunehmend verwischen.

Aktivität in True Crime Formaten und die Aktivität der Zuschauenden

Herbert Schwaab analysierte das True-Crime-Genre als Spiegel digitaler Machtverhältnisse. Serien wie Making a Murderer (Netflix, 2015-2018) oder Crime Scene: The Vanishing at the Cecil Hotel (Netflix, 2021) inszenieren Zuschauer:innen als aktive Ermittler:innen – doch die versprochene Partizipation bleibt Illusion. In dieser „Pseudo-Aktivität“ zeigt sich, wie Plattformen affektive Beteiligung ökonomisieren und Gerechtigkeit zur Ware machen. Dabei verwies Schwaab darauf, dass diese Formate einerseits Ängste und Ohnmachtsgefühle adressieren, andererseits aber durch emotional aufgeladene Montage und Social-Media-Interaktion die Kontrolle über die Erzählung bei den Plattformen belassen.

(Abschlussdiskussion. Von links: S. Stollfuss, H. Schwaab, M. Weiß, K. Hebben, C. Piepiorka, J. Zündel, S. Prinzler, © V. Cuntz-Leng)

Geteilte Notizen – vom Padlet ins Panel

Während der Vorträge konnten die Zuhörer:innen über ein Padlet eigene Gedanken und Fragen eintragen. Vier zentrale Begriffe strukturierten die digitale Pinnwand: Macht, Machen, Verführung und Ermächtigung – zugleich die vier thematischen Leitlinien des Panels.

Rund um diese Schlagworte entstanden spontane Verknüpfungen: Diskussionen über Plattformdaten und Ethik, über Kreativität, Kontrolle und Schein-Partizipation. Viele Beiträge griffen Fragen aus den Impulsen auf, etwa die „Schein-Ermächtigung“ in kuratierten Plattformräumen oder den „vorauseilenden Gehorsam“ öffentlich-rechtlicher Medien gegenüber algorithmischen Standards.

(Padlet zum Panel der AG Fernsehen, © M. Weiß)

In der Schlussdiskussion verband sich das Padlet mit dem Gespräch im Raum und die Notizen, Fragen und Schlagworte wurden gemeinsam weitergesponnen. Dadurch entstand ein offener Austausch, in dem die Perspektiven von Vortragenden und Publikum gleichberechtigt nebeneinanderstanden.

Fazit: Fernsehen als Aushandlungsraum

Das Panel Upstairs, Downstairs zeigte, dass Fernsehen im Zeitalter der Plattformen weniger als abgeschlossenes Medium, sondern als dynamisches Netzwerk aus Machtbeziehungen verstanden werden muss. Die Impulse verdeutlichten, dass Fernsehen und Streaming gleichermaßen Orte der Kontrolle und der Selbstermächtigung sind. Räume, in denen kommerzielle Interessen, datenbasierte Steuerung und nutzer:innengenerierte Inhalte in einem ständigen Spannungsverhältnis stehen. Zwischen algorithmischer Steuerung, datenbasierter Produktionslogik und nutzergenerierter Kreativität entstehen dabei neue Formen von Sichtbarkeit und Einfluss. Fernsehen bleibt damit ein Ort der Verführung, aber auch der Ermächtigung; ein Raum, in dem Macht nicht verschwindet, sondern immer neu verhandelt wird.

Wer macht letztlich das Fernsehen: Produzent:innen, Plattformen oder Zuschauer:innen? Das Panel ließ offen, ob diese Frage überhaupt trennscharf zu beantworten ist und machte damit deutlich, dass Fernsehen längst mehr ist als das, was auf dem Bildschirm zu sehen ist.

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