Fernsehserien kritisieren: Einblicke in die Arbeit Studierender

Von Dr. Monika Weiß (@drweissmo), mit Olivia Balsser, Leonard Erdbrink, Gorch Florentin Gintschel, Noah Kästner und Nele Linnhoff, denen an dieser Stelle herzlich für die Zustimmung zur Verwendung der eigenen Beiträge gedankt werden soll.

Bild erstellt von ChatGPT

Was bedeutet es im Jahr 2025, Fernsehwissenschaft zu lehren? Dr. Anne Ganzert (@anneganzert) und ich wollen im Nachgang zu Lehrveranstaltungen aus dem Sommersemester 2025 dem nachgehen. Der erste Teil dieses Specials zu „Small Screen, Big Questions“ ist bereits am 1. September 2025 hier veröffentlicht. Dieser nun basiert auf der Übung „Kritisieren“, die ich im Sommersemester 2025 an der Philipps-Universität Marburg konzipiert und durchführt habe.

Warum Medienkritik?

Neben wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben sollen Studierende der Medienwissenschaft durchaus auch Bezüge zur Berufspraxis kennenlernen und erproben. Medienkritisches Arbeiten ist ein wichtiges Feld für Medienwissenschaftler_innen, auch bezogen auf Fernsehen und Streaming. Die Studierenden haben durch das eigenen Verfassen von Serienkritiken herausgefunden, was eine fundierte Medienkritik ausmacht und dass es nicht ausreicht, nur subjektive Eindrücke niederzuschreiben und die eigene Begeisterung oder Abneigung zu äußern. Notwendig ist, wie in der wissenschaftlichen Betrachtung auch, ein geschultes analytisches Auge: die Fähigkeit, ästhetische Mittel, Produktionsbedingungen, narrative Strukturen und gesellschaftliche Kontexte zu erkennen, zu interpretieren und einzuordnen. Erst über nachvollziehbare Argumentation entsteht auch im Feuilleton ein Text, der über ein bloßes „Gefällt mir“ oder „Gefällt mir nicht“ hinausgeht.

In der Auseinandersetzung mit der Textform Medienkritik und im Vergleich mit wissenschaftlichen Formen haben die Studierenden erfahren, dass diese zwar mehr Raum für Subjektivität bietet sowie wesentlich essayistischer sein dürfen. Die eigene Perspektive sollte durchaus erkennbar werden. Gleichzeitig mussten sie aber auch erkennen, dass bestimmte Elemente unverzichtbar bleiben wie eine gute Struktur, nachvollziehbare Kriterien, eine plausible und durch Belege gesicherte Argumentation sowie ein klares Ergebnis.

Warum ZDFneo?

Das ZDF als öffentlich-rechtliche Senderfamilie bietet mit dem Spatensender ZDFneo Content für junge Erwachsene (Zielgruppe: 25- bis 49-Jährige). Nach Chefredakteurin Simone Emmelius ist der Anspruch, „intelligentes und unterhaltendes Fernsehen […] zu machen“ und gleichzeitig Innovationsplattform für das ZDF zu sein. Neoriginal ist das Label der selbst produzierten bzw. selbst in Auftrag gegebenen Serien des Senders, die vor allem über die Mediathek bereitgestellt werden. Beworben wird dies vom ZDF wie folgt: „Bei ZDFneo gibt es neue, modern erzählte Serien und Shows. Spannend, lustig, unkonventionell – Comedy, Drama, Liebe und Coming of Age.“ Werden die Serien einerseits diesem Anspruch, andererseits dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerecht?

Anhand ausgewählter Beispiele soll hier Einblick gegeben werden in die Arbeiten der Studierenden:

Blutleer trotz Biss? Warum Love Sucks mehr Schein als Sein ist – verfasst von Olivia Balsser

Mit der 8-teiligen Serie Love Sucks wagt sich das ZDF 2024 auf ungewohntes Terrain: Vampir-Romantik mit düsterer Familienfehde mitten in Frankfurt am Main. Auf den ersten Blick vielversprechend: Verbotene Liebe, Leidenschaft, düstere Ästhetik, mystische Geschichten und großes Drama. Doch hinter den vielen Effekten und der auf Hochglanz polierten Fassade verbirgt sich erstaunlich wenig Substanz. Trotz starker Optik und vielversprechender Hauptdarsteller*innen scheitert die Serie an genau dem was sie eigentlich erzählen möchte, an einer emotional fesselnden Geschichte, in die man beim Zuschauen wirklich eintauchen möchte.

Zur Story: Auf dem Frankfurter Rummel trifft die junge, selbstbewusste Boxerin Zelda (Havana Joy Braun) den geheimnisvollen Ben (Damian Hardungen). Zwischen Boxhandschuhen, Zuckerwatte und bunten Lichtern funkt es zwischen den beiden, bis Zelda erfährt, dass Ben ein Vampir ist. Und schlimmer noch, ihre Familie gehört zu einer jahrhundertealten Vampirjäger-Dynastie. Also ein modernes Romeo und Julia Szenario. Eigentlich genug Stoff für ein packendes Serienerlebnis?

Umso enttäuschender ist jedoch die oberflächliche Umsetzung. Zwar überzeugt die Serie visuell durch stimmige Farbwelten, stilvolle Sets und eine durchdachte Kameraarbeit. Doch all das bleibt eine dekorative Kulisse. Hinter dem ästhetischen Hochglanz findet man nur schwer den emotionalen Zugang. Die Liebesgeschichte zwischen Zelda und Ben entwickelt keine Tiefe und auch die familiären Konflikte werden nicht auserzählt. Insgesamt erscheint die Erzählung so unstrukturiert und unausgewogen, dass man sie kaum nachvollziehen kann. Statt echter Gefühle gibt es Unmengen an Effekten und kunstvoll komponierter Szenen, aber wenig was einem wirklich unter die Haut geht.

Besonders bedauerlich ist das, weil das Schauspiel-Duo eigentlich ein großes Potenzial hat. Havana Joy Braun bringt als Zelda eine selbstbewusste und entschlossene Präsenz, welche gepaart ist mit jugendlichem Trotz. Doch die Figur bleibt weitestgehend blass. Sie darf kämpfen, zweifeln und rebellieren, aber nie so richtig fühlen. Damian Hardung wiederum spielt Ben als melancholischen Schönling mit tragischer Vergangenheit, doch auch hier wird nicht wirklich in die Geschichte der Figur eingetaucht. Die Chemie zwischen den beiden wirkt mehr inszeniert als spürbar. Ihre Liebe beginnt plötzlich und bleibt merkwürdig distanziert, was bei einer Dark Romance ein echtes Problem darstellt. Und obwohl das Genre-Mix-Konzept spannend klinkt – verbotene Liebe, Horror und Mystery sowie Familiendrama – verliert sich die Serie genau in diesem Mix: Sie ist nie gruselig genug, nie tiefgründig genug und nie leidenschaftlich genug. Letztlich fehlt ein emotionaler Anker für die Zuschauenden. Wer nicht bereit ist, sich durchzukämpfen, verliert schnell das Interesse. Gerade durch den Serienüberfluss auf dem Markt ist dies fatal, da Aufmerksamkeit heute schnell belohnt werden muss. Am Ende bleibt der Eindruck einer Serie, welche sehr viel will, aber wenig wirklich einlöst.

Love Sucks ist kein kompletter Reinfall, punktet vor allem durch gelungene Ästhetik. Love Sucks ist aber auch kein Volltreffer. Wer dunkle Atmosphäre á la Twilight oder Vampire Diaries mag, kommt hier sicher auf seine Kosten. Jedoch kann die Serie mit dem emotionalen Storytelling dieser nicht mithalten.

Unbroken (2021): Wozu eine Mutter fähig ist… – verfasst von Leonard Erdbrink

Die ZDFneo Serie Unbroken aus dem Jahr 2021 möchte viel bedienen: Spannung, Trauma, weibliche Selbstbestimmung –verirrt sie sich dabei in ihrem eigenen Anspruch?

Als eine deutsche Nordic Noir Miniserie reiht sich Unbroken in einen Serientrend ein, der aus der nordeuropäischen Fernseh-Landschaft seit einigen Jahren nicht mehr wegzudenken ist. Mit sechs Episoden versucht Regisseur Andreas Senn einen authentischen Kriminalfall ins deutsche Abendprogramm einzubetten. Zum Inhalt: Die hochschwangere Kriminalkommissarin Alex Enders wird brutal entführt. Eine Woche später taucht sie blutverschmiert und ohne Kind wieder auf. Ohne Erinnerung an ihr Verschwinden versucht sie das Rätsel um die Entführung ihrer Tochter zu lösen. Gegen dienstlichen Rat kehrt sie in den Polizeidienst zurück. Was folgt, ist ein düsterer, psychologisch aufgeladener Ritt durch ein Netz aus Lügen, Schuld und Gewalt. Das einzige Ziel: ihr Kind wiederzufinden. Enders erhält Einblick in das Geschäft des Kinderhandels, was sie mit ihrem eigenen Fall in Verbindung bringt. Je tiefer sie gräbt, desto mehr verrennt sie sich. Statt Unterstützung erfährt sie Misstrauen. Sind die Täter wirklich im organisierten Verbrechen zu suchen oder befindet sich dieGefahr näher als gedacht?

Eine starke Frau – Aylin Tezel verkörpert die Figur der Alex Enders, eine Autoritätsperson als Kommissarin und im Privaten. Über Ihre Handlungen sollen weibliche Stärke und Selbstbestimmung vermittelt werden. Doch stellen sich ihr immer wieder vor allem männliche Figuren, allen voran ihr korrupter Chef Paul Nowak (gespeilt von Özugür Karadeniz), in den Weg und zweifeln an ihr. Unbroken ist eine feministische Serie, bleibt dabei aber authentisch und realitätsnah. Letztendlich ist Enders keine Heldin, sondern eine Frau, die versucht, sich aus der Opferrolle herauszukämpfen. Leider wird sie aber auch durch ihre impulsiven Entscheidungen und falsche Handlungen als verzweifelt dargestellt. Die emotionale Tiefe der Figur droht oft von klischeehaften Darstellungen überdeckt zu werden – das wiederum untergräbt leider den feministisch gemeinten Ansatz.

Spannung durch Muster? – In 43 Minuten pro Folge soll eine spannende und dennoch authentische Kriminalgeschichte erzählt werden. Nach und nach zweifeln auch die Zuschauer*innen an Enders. Erst langsam öffnet sich der Vorhang und das Publikum, wie auch die Figuren, kommen der Lösung näher. Die Miniserie schafft es, mit wenigen Figuren ein kompliziertes Netz aus Möglichkeiten zu spinnen, welches sich erst im Finale löst. Dennoch ist an einigen Stellen noch Luft nach oben. Zum Beispiel verfällt Kommissarin Enders immer wieder dem gleichen Muster: sie konfrontiert Personen, wird von deren Aussagen enttäuscht, zieht sich zurück und versucht, auf eigene Faust das Geheimnis zu lösen. Trotz ihres eisernen Willens wirkt dieser Handlungsablauf zunehmend redundant und verliert unweigerlich an Spannung. Nebenfiguren tauchen auf und verschwinden ohne nennenswerte Relevanz. Hinzu kommt, dass einige Konflikte nicht auserzählt werden, wie Enders familiäre Spannungen, ihre Affäre und das allgemeine Misstrauen im Polizeiapparat. Im Gegensatz zu dieser teils fehlenden narrativen Tiefe steht jedoch die Bildgestaltung. Kalten und entsättigten Bilder unterstreichen die Atmosphäre der Geschichte.

Empfehlung – Die Schauspielleistung Tezels trägt die Miniserie. Mit ihrer emotionalen und physischen Darstellung der Kommissarin bietet sie einen Unterhaltungsfaktor, der die Langatmigkeit und die repetitiven Inszenierungsstrategien bricht. Trotz der mangelnden erzählerischen Tiefe der anderen Figuren, lässt die Miniserie Unbroken einen mitfiebern. Um die Anfangsfrage zu beantworten: Nein, sie verliert sich nicht in ihrem eigenen Anspruch – sie bedient all das, was man sich von einem Krimi erhofft.

Hungry (2024): Macht Hunger auf mehr… und stillt den Appetit nicht – verfasst von Gorch Florentin Gintschel

Die ZDFneo-Serie Hungry ist mutig und traut sich an ein tabuisiertes, aber deshalb umso wichtigeres Thema ran. Sie bleibt jedoch hinter ihrem eigenen Anspruch zurück und schafft es weder eine klare Botschaft zu transportieren, noch einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Hungry ist eine deutsche Drama-Jugendserie, die von ZDFneo produziert wurde. Ihre TV-Premiere feierte sie am 03.12.2024 auf ZDFneo, die gesamte Serie ist jedoch schon seit dem 28.11.2024 in der ZDF-Mediathek verfügbar. Regie führte bei allen sechs Folgen Eline Gehring. Die Folgenlänge variiert zwischen 15 und 19 Minuten, sodass die Serie eine Gesamtlaufzeit von unter zwei Stunden hat und damit locker an einem Stück konsumiert werden kann. Eine zweite Staffel ist nach offiziellen Informationen bislang nicht in Planung und aufgrund des abgeschlossenen Konzepts als unwahrscheinlich zu betrachten. Die Miniserie begleitet die 17-jährige Ronnie (Zoe Magdalena), die zu Beginn der ersten Folge von ihrer Mutter gegen ihren Willen in eine Jugendpsychiatrie eingewiesen wird. Die Teenagerin hat eine Essstörung und soll in der Klinik eine Therapie beginnen. Zu Beginn kann sie sich gar nicht mit dem Gedanken anfreunden dort zu bleiben. Mit der Zeit aber findet sie sich immer besser zurecht, kämpft dennoch mit Rückschlägen und auch bei ihren Mitpatient*innen zeigen sich erwartbare und unerwartete Schwierigkeiten.

Als ich zum ersten Mal Werbung für die Serie geschaltet bekommen habe war ich regelrecht begeistert. Eine Serie über so ein heikles und komplexes Thema stellt für die Produktionsfirma ein gewissen Risiko dar, was es umso bemerkenswerter macht, dass die Serie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Auftrag gegeben wurde, der, mit Blick auf seine anderen Eigenproduktionen, nicht unbedingt für seine Risikobereitschaft bekannt ist. Zwar spielt auch diese Serie in einem Krankenhaus, ein klassisches Setting des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, jedoch richtet sie sich an eine deutlich jüngere Zielgruppe als gewohnt und scheint auch inhaltlich wesentlich tiefer zu gehen. Eine mutige und ernsthafte Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen wie Anorexie und Depressionen verspricht, dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Programms nachzukommen und etwas Aufklärungsarbeit nachzuholen, die bei diesem stark tabuisierten Thema bitter nötig ist.

Auch als ich dann kurz nach Veröffentlichung die erste Folge geschaut habe hielt mein Gefühl der Begeisterung und der Vorfreude an. Das Setting ist realitätsnah und auch die eingeführten Figuren wirken facettenreich, glaubhaft und nachvollziehbar. Der chaotische und unberechenbare Klinikalltag bietet ganz viel Raum für Spannung und unerwartete Wendungen. Mit jeder weiteren Folge wurde mir dann jedoch klarer, dass diese Hoffnung nicht erfüllt werden wird und nachdem ich dann die sechste und letzte Folge geschaut hatte, wollte ich gar nicht glauben, dass es das gewesen sein soll. Die Handlung war gerade erst ins Rollen gekommen und zeigte endlich Ansätze von einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit verschiedenen Krankheitsbildern, da war sie auch schon wieder vorbei. Das recht offen gehaltene Ende der Serie macht in diesem Kontext zwar durchaus Sinn, da ein solcher Therapie-/Heilungsprozess nicht einfach so endet, jedoch hätte dieses Ende auch nach sechs weiteren Folgen kommen dürfen, sodass die Serie mehr Zeit gehabt hätte, tiefer in die Materie einzutauchen. So lässt die Serie mich ebenso hungrig zurück, wie ich war, als ich sie begonnen hatte und macht damit vor allem eins deutlich: ihr verschwendetes Potenzial.

Auch wenn Hungry mich etwas enttäuscht und unbefriedigt zurücklässt möchte ich eine klare Empfehlung aussprechen. Psychische Krankheiten werden nach wie vor tabuisiert und sind dementsprechend in unserer Medienlandschaft unterrepräsentiert. Die Serie bricht mit diesem Tabu und trifft mit ihrer Ehrlichkeit immer wieder genau ins Herz. Hungry ist als eine Produktion von ZDFneo kostenfrei auf Abruf in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Sløborn (2020 – 2024): Die Pest geht um in Norddeutschland – verfasst von Noah Kästner

Auf der fiktiven nordfriesischen Insel Sløborn breitet sich eine tödliche Seuche aus. Wir begleiten menschliche Schicksale inmitten des Chaos.

Unfassbar ist das Timing, mit dem die erste Staffel der dänisch-deutschen Koproduktion Sløborn, im ZDF veröffentlicht wurde: nur wenige Monate, nachdem die WHO Covid-19 offiziell zur Pandemie erklärte. Entworfen und gedreht wurde sie also schon eine ganze Weile davor.

Zu Beginn wird erst einmal ein idyllisches, aber auch provinzielles Inselchen gezeigt. Sløborn bietet mit seinen Dünen, roten Backsteinhäuschen und seiner Hafenpromenade geradezu eine Urlaubskulisse. Doch es ist nicht alles so verschlafen und harmlos wie es scheint. Durch die verschiedenen Handlungsstränge und Figurenkonstellationen wird klar, dass auf dieser Insel enormes Konfliktpotential herrscht: Die Fünfzehnjährige, die von ihrem Vertrauenslehrer schwanger ist, das dysfunktionale Ehepaar, der ruinierte Schriftsteller, ein Sozialprojekt um straffällig gewordene Jugendliche und so weiter. Dass es so viele Nebenhandlungen gibt stärkt meiner Meinung nach vor allem den eigentlichen roten Faden der Serie, nämlich die sich immer weiter ausbreitende „Taubengrippe“. Das Voranschreiten dieser lässt sich jedoch als „slow burn“ bezeichnen. Nach der exzellenten Pilotfolge mit gelungenem Cliffhanger vergehen jedoch einige Folgen, bis der erste Patient auf der Insel tatsächlich an der Taubengrippe sterben muss. Einerseits gibt diese langsame Erzählweise den zahlreichen Figuren den Raum, um zur Geltung zu kommen, andererseits aber leidet die Spannungskurve darunter. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert: Radio- und Fernsehmeldungen im Hintergrund verweisen auf die sich rasant ausbreitende Grippe und im Ausland, wir hören Husten, Niesen, es wird geschnieft und vor allem geblutet. Als es dann so weit ist, dass die Lage eskaliert und Sløborn abgeriegelt wird, geht es plötzlich ganz schnell. Und genau hier zahlt sich die Vielfalt der Handlungsstränge aus, denn durch sie bekommen wir die Pandemie und ihren Ausbruch facettenreicht mit.

Wo Sløborn narrativ überzeugt bleibt die Serie in ihrer Bildsprache und im Audiodesign leider relativ gewöhnlich. Die visuellen Effekte, mit denen die unter der Haut liegende Infektion sichtbar gemacht werden soll, und Audioelemente, wie das Geräusch von Fliegen oder Klingeltönen, werten die Gesamterfahrung eher ab. Auch mit der einseitigen Darstellung der staatlichen und medizinischen Autoritäten habe ich so meine Probleme, ebenso wie mit der genutzten „Bühnenjugendsprache“. Dieser erzwungene Duktus stößt auf und steht im Kontrast zu den ansonsten guten Dialogen. Erwähnt werden muss, dass zumindest der dänische Schauspieler Roland Møller mit seinem natürlichen Akzent in der Darstellung des dänischen Sozialarbeiters Magnus einen frischen Wind in die ansonsten sehr hochdeutsche Aussprache bringt. Immerhin spielt die Serie auf nordfriesischem Gebiet…

Zum Abschluss nochmal zurück zum Anfang: Es ist bemerkenswert, wie Sløborn quasi ungewollt die Themen von Pandemie und Lockdown aufgreift. Die Insel kann als Mikrokosmos der deutschen Pandemiegesellschaft gelesen werden, denn Fremde werden für Infektionen verantwortlich gemacht, Autoritäten werden angefochten, die Krankheit von manchen verharmlost, es wird verzweifelt versucht, Infektionscluster nachzuvollziehen und es werden Einschränkungen der persönlichen Freiheiten ausgesprochen und durchgesetzt. Angst macht sich breit, als die Menschen realisieren: Ich könnte als nächstes dran sein. Natürlich ist die Darstellung dramatischer als es die Realität war. Sløborn zeigt die nagende Furcht vor dem nahenden gesellschaftlichen Zusammenbruch, die die meistens von uns während der Corona-Zeit nur im Hinterkopf hatten.

Ich muss zugeben: Sløborn hat es mir angetan. Ich weiß nicht, ob mich die Serie in der Pandemiezeit abgeholt oder gestresst hätte, aber jetzt, etwa zwei Jahre danach, muss ich eine Sehempfehlung aussprechen. Ok, manches könnte besser sein, aber ich möchte betonen, dass die guten und funktionierenden Elemente überwiegen. Es ist spannend mitzuerleben, wie sich die einzelnen Figuren entwickeln und wie sie auf ihre Situation reagieren und sich anpassen. Und die fiktive Insel Sløborn ist ein durchweg interessanter Schauplatz.

Deutscher (2020): Zwischen Nachbarschaft und Politik:
Wie eine Mini-Serie gesellschaftliche Spannungen thematisiert
– verfasst von Nele Linnhoff

Was passiert, wenn eine rechtspopulistische Partei an die Macht kommt und eine harmonische Nachbarschaft daran zerbricht? Die Miniserie Deutscher aus 2020 geht genau dieser Frage nach und zeigt, wie politische Veränderungen familiäre, freundschaftliche und persönliche Beziehungen herausfordern können. Zwischen Familienleben, politischen Spannungen und wachsender Unruhe wird deutlich, wie schnell sich gesellschaftlicher Zusammenhalt in offene Konflikte verwandeln kann.

Deutscher ist ein ZDFneo-Original und spielt in einem deutschen Vorort, der durch den überraschenden Wahlsieg einer rechtspopulistischen Partei erschüttert wird. Im Mittelpunkt stehen die Familien Schneider, bestehend aus Mutter Eva, Vater Christoph und Sohn David (gespielt von Meike Droste, Felix Knopp und Paul Sundheim), sowie Ulrike und Frank Pielcke mit Sohn Marvin (Milena Dreißig, Thorsten Merten und Johannes Geller). Persönliche Beziehungen und Alltag werden durch die Veränderungen zunehmend belastet. Denn während die Schneiders von den Entwicklungen schockiert sind, sehen die Pielckes die Situation eher positiv. Die Spannungen in dem Vorort nehmen im Verlauf der Serie immer weiter zu, bis es schließlich zu Gewalt und öffentlichen Ausschreitungen kommt. Das Ende bleibt in vielen Erzählsträngen offen. Deutscher bietet keine klaren Lösungen oder eindeutige Schlussstriche – wie so oft im wahren Leben auch.

Die Serie erzählt ihre Geschichte ruhig, ohne große Action und Spannung. So gelingt es, die zwischenmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Konflikte in den Mittelpunkt zu stellen. Die Handlungen spielen in vertrauten Alltagsräumen wie Wohnhäuser, Küchen, Gärten. Das unterstreicht die Nähe zu unserer realen Welt und lässt aufhorchen. Diese Räume stehen normalerweise für Sicherheit und Vertrauen und es wirkt umso eindringlicher, wenn in ihnen plötzlich über politische Differenzen familiäre Konflikte entstehen. Die Sprache und die Gespräche zwischen den Figuren wirken natürlich, fast so, als würde man den Menschen um sich herum zuhören. Auch das sorgt für die Eindringlichkeit der Thematik. Beim Zuschauen kommt das Gefühl auf, selbst Teil der Nachbarschaft zu sein oder Ähnliches schon selbst einmal erlebt zu haben. Die Umbrüche werden besonders deutlich in der Beziehung der Söhne David und Marvin, deren Freundschaft zunehmend zerbricht. Die Serie thematisiert damit auch, wie Veränderungen in der Welt der Erwachsenen sich auf die Jungen der Familien auswirken, auch wenn sie dies nicht bewusst bemerken.

Obwohl Deutscher eine fiktionale Geschichte erzählt, fühlt sie sich erschreckend real an, näher an unserer Gegenwart, als es viele von uns vielleicht wahrhaben wollen. Gerade diese Nähe macht die Serie so eindringlich und unangenehm ehrlich. Sie überzeugt nicht mit großen Wendungen, sondern mit ihrer ruhigen Art, mit der sie die ernste Thematik ohne übertriebene Inszenierung darstellt. Auch wenn einige Szenen etwas vorhersehbar wirken und manche Figuren oberflächlich bleiben gelingt es, politischen Konflikt klischeefrei als Teil des Alltags zu inszenieren, ohne dabei belehrend zu sein. Bei Deutscher geht es nicht um richtig oder falsch, sondern darum, wie wir Menschen miteinander umgehen, wenn (politische) Meinungen nicht zueinander passen. Genau hierin liegt die Stärke der Serie.

Die Miniserie besteht aus nur vier Folgen von jeweils 45 Minuten. Sie steht in der ZDF Mediathek zum Stream bereit.

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