Von Kim Carina Hebben (@kimhebben)
KI – Künstliche Intelligenz – ist kein Novum das aktuell das Fernsehen revolutioniert. Als Science Fiction Inhalt sind Roboter und Co seit jeher narrativ vertreten. Und auch technisch wird in der Produktion und vor allem Postproduktion immer stärker mit innovativen, computergenerierten und intelligenten Techniken nachgearbeitet. Der Grat zwischen dem, was man als Intelligent oder automatisiert bezeichnet ist hier schmal. Schlaue Algorithmen (oder Sprachmodelle, wie ChatGPT), erzeugen Content, sind Mittel der Arbeitserleichterung oder werden zur Aufmerksamkeitsgenerierung und Lenkung in den Sozialen Medien eingesetzt, sind aber nicht per (jeder) Definition als Künstliche Intelligenzen zu klassifizieren.
Denkfiguren
Hier handelt es sich eher um eine Denkfigur, die in den Diskurs der Künstlichen Intelligenz aufgenommen wurde und jetzt weiter medial verhandelt wird. Vergleichbar ist dies mit der Denkfigur der Holografie. Denken wir an Hologramme, kommen das Holodeck aus Star Trek oder vielleicht der Coachella-Auftritt des Hologramms des verstorbenen Rappers Tupac in 2012 in den Sinn.
Bei den verwendeten Licht-Illusionen handelt es sich technisch jedoch nicht um Hologramme, sondern um Projektionen. Echte Hologramme finden wir zum Beispiel auf unseren Geldscheinen. Besonders in der Bau- und Sicherheitstechnik sowie in der Medizin wird Holografie als messtechnisches Verfahren fernab der medialen Inszenierung alltäglich in Arbeitsprozessen verwendet. Die mediale Darstellung der Holografie weicht gravierend von den tatsächlichen technischen Realisierungsformen und Anwendungen ab.
Ähnliches passiert aktuell mit unserer Vorstellung der KI. Statt des hilfreichen Haushaltsroboters oder humanoiden Realisierungen von KI, geht das Bild, dass wir vor Augen haben, wenn wir an Künstliche Intelligenz denken, jetzt eher in Richtung text- (oder sprach-)basierter intelligenter Assistent*innen, die uns Kopfarbeit abnehmen.
Hype
Diese Denkfigur der Künstlichen Intelligenz ist im Gartner Hype Cycle weiterhin am Gipfel der überzogenen Erwartungen. Mit der Bereitstellung von ChatGPT Ende 2022 als technologischem Auslöser erscheinen nun täglich neue KI-Tools, Guides oder Produktionen, die den Überblick über das Phänomen erschweren.

Abbildung 1: Gartner Hype Cycle für Künstliche Intelligenz 2022 (Gartner)
Schöpfung & Arbeitserleichterung
KI wird vor allem user friendly. Deep Fakes, die vor wenigen Jahren noch schockiert haben und mit Hochleistungsrechnern und Technikexpertise produziert wurden, sind mit wenigen Klicks, per Drag-and-Drop oder als Filter generierbar und können unverzüglich zirkulieren. Sie ermöglichen bzw. vereinfachen die Arbeit an medialen Texten.
Besonders politisch motivierte Szenarien und Motive gehen schnell viral und werden instrumentalisiert, wie beispielsweise Videos oder Fotoreihen von Trump, Putin oder Zelensky. Natürlich kursieren auch unproblematischere Bilder und besonders in künstlerischen Kontexten oder Fan-Diskursen werden die generativen KI-Tools zur Arbeit am popkulturellen Material genutzt.

Abbildung 2: Papst in Daunenjacke (ZDF)
Bei der Contenterstellung können KI-Tools sowohl Produktions- als auch Konsument*innenarbeit leisten, indem beispielsweise Social Media Post generiert und Serienfragmente aufbereitet und verbreitet werden, die dann durch weitere Bearbeitung der Zuschauer*innen/ User*innen weiter verändert und verbreitet werden.
Die Anwendung Television.AI generiert KI-basiert Nachrichtenvideos und richtet sich an professionelle Redaktionen. Es wird vor allem mit der Einfachheit und Schnelligkeit geworben: „Seien Sie der erste, der die Nachricht verbreitet“. Das ungefilterte und sofortige Hochladen von Handyvideos aus Konflikt- oder Krisensituationen im Internet (vgl. Meis 2021) wird dabei aufgegriffen und dem professionellen Nachrichtendiskurs zugeführt, indem die KI Videomaterial analysiert, zusammenfasst und Nachrichtenclips auf Grundlage von zuvor geschriebenen Meldungen generiert und diese automatisiert visuell illustriert oder vertont. Die Kopfarbeit der Redakteur*innen wird dabei weiter als Kompetenz angesehen, die nicht von der KI ersetzt werden soll: „Befreien Sie sich von der mühsamen Arbeit und konzentrieren Sie sich auf das redaktionelle Handwerk.“
Mit Apps zur Generierung von Nachrichtenvideos können jedoch auch die Grenzen von Publikum und Produktion weiter verschwimmen. Es wird mit einer Ästhetik der Professionalisierung geworben, die auch (Handy-)Videos durch die KI-Anwendung als Nachrichtenvideos inszenieren kann und damit ergänzt durch den Bereich der Deep Fakes Ereignisse und Fakten erzeugen kann, statt davon zu berichten.
Auch bei wiederkehrenden Themen und Problematiken, wie Drehbuchautorenstreiks, ist KI ein aufgeladenes Thema, da es neben der Arbeitserleichterung auch – so zumindest die Zukunftsvisionen – Arbeitsprozesse automatisieren kann.
Watch Me Forever
Das die Automatisierung kreativer Prozesse zumindest nicht völlig undenkbar ist, zeigt das Beispiel Watch Me Forever. Die 90er-Jahre inspirierte computeranimierte Sitcom Nothing, Forever läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Gestreamt wird die Seinfeld nachempfundene Endlosserie auf Twitch.
Nothing, Forever ist nahezu komplett KI-generiert. Algorithmen, die auf dem Sprachmodell GPT-3 basieren, generieren am laufenden Band, in Echtzeit, Dialoge und Witze. Im Februar musste der Endlosstream jedoch ausgeschaltet werden, da eine KI-Figur eine transfeindliche Bemerkung geäußert hatte. Nach kurzer Pause und Überarbeitung des Algorithmus durfte die Serie aber wieder senden. Weitere Überlegungen zum Verhältnis von KI und Gender Studies sind hier mehr als angebracht.
Künstliche Intelligenz als Gegenstand der Fernsehwissenschaft lässt sich vielseitig betrachten und bleibt als spannendes Phänomen aufmerksam und in Echtzeit zu beobachten. Wie viel KI steckt in meiner Lieblingsserie? Wie viel KI steckt im Fernsehen? Welche Inhalte oder Prozesse können von generativen KI-Tools automatisiert werden? Auf Grundlage der Tools und Beispiele, die aktuell kursieren, wäre ein endloser KI-generierter Nachrichtenvideo-Stream denkbar, der zum Beispiel aus Social Media Posts in Echtzeit (ungefiltert) News Storys produziert.
Als Algorithmen zur scheinbar ultimativen Personalisierung finden wir KI in den Sozialen Medien, in Mediatheken und auf Streamingplattformen. Vielleicht wird ein individuell generiertes Fernsehprogramm der nächste Schritt in der fortlaufenden Experimentalanordnung des Fernsehens (vgl. Keilbach/ Stauff 2011)? Warten wir ab, was sich am Ende des Hype Cycles durchsetzen wird.
Quellen
erwähnte Literatur
Judith Keilbach, Markus Stauff (2011): Fernsehen als fortwährendes Experiment. Über die permanente Erneuerung eines alten Mediums. In: Nadja Elia-Borer, Samuel Sieber & Georg Christoph Tholen (Hrsg.): Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien. Bielefeld: transcript, S. 155-181.
Mareike Meis (2021): Die Ästhetisierung und Politisierung des Todes. Handyvideos von Gewalt und Tod im Syrienkonflikt. Bielefeld: transcript.
Abbildungen
Abbildung 1: Gartner Hype Cycle für Künstliche Intelligenz 2022, https://www.gartner.de/de/artikel/gartner-hype-cycle-2022-zum-thema-ki
Abbildung 2: Papst in Daunenjacke, https://www.zdf.de/nachrichten/digitales/papst-daunenjacke-fake-ki-kuenstliche-intelligenz-100.html


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