20.15 Uhr-Prime-Time „Samstagabend Live“ als die Rettung des linearen Fernsehens? Nur ein paar Gedanken – ein Kommentar von @christinepiepiorka

Wann schaltest du den Fernseher an?
Ich meine hier nicht nur das Gerät, sondern das lineare Fernsehprogramm, nicht die Mediathek oder ein Streamingdienst. Nein, ich meine echtes Live-Fernsehen.
Was also hat dir das Fernsehen zu bieten? Natürlich hängt auch das vom Alter der Person ab, die man fragt. Ich bin Kind der 80er, also ein Jahrgang in dem Privatfernsehen unglaubliche Möglichkeiten bot. Und heute: Ich kann diese Situationen, in denen ich lineares Fernsehen schaue, an einer Hand abzählen – pro Halbjahr. Nicht einmal die Nachrichten schaue ich mehr live im TV, sondern nutze die App.
Damals war es „Wetten, dass..?“ und Snacks

Doch ich musste neulich abermals darüber nachdenken, als ich den Impuls hatte, mich am Samstag Abend tatsächlich um 20:15 Uhr vor das Fernsehprogramm zu setzen. So wie früher. Mit Snacks. Und vorher noch schnell zur Toilette, um nichts zu verpassen. Es war „Wetten, dass…?“-Abend. „Die Rückkehr der Kultshow: Von pieksenden Baggern und ekligem Wackelpudding: Das war der Abend bei „Wetten, dass..?“ schreibt der Stern. Da bleibt keine Auge trocken und kein Snack unberührt. Da kann man nicht mal eben verschwinden von der Couch. Für jemand anderes war es vielleicht die „Fußball-Weltmeisterschaft“ oder die „Beerdigung der Queen“. Denkbar wäre auch an Weihnachten „Let’s Dance“ oder die „Helene-Fischer-Show“ (die zum großen Bedauern vieler dieses Jahr wieder ausfiel). Alle Sendungen weisen mehrere Millionen Zuschauer auf. Zeitgleich. Vielleicht sogar live.
Aus wissenschaftlicher Sicht fallen dem aufmerksamen Leser natürlich sofort die sogenannten „Media Events“ ein: ja, diese Sendungen passen weitestgehend in diese Kategorie oder tangierende Konstrukte. Denn es ist von der Ereignishaftigkeit zu sprechen, wenn Etwas in der äußeren Welt „Ereignis“ ist und darum berichtenswürdig und/oder ein mediales Produkt (wie ein Film) oder ein medial orientiertes Produkt (wie eine Olympiade, eine Krönungszeremonie) ist und als Ereignis vermarktet wird (Dayan/Katz).
Für die Erhaltung um seiner selbst Willen
Ich überlege, ob es nicht eventuell immer mehr darauf hinausläuft, dass Medienereignisse für das Fernsehen seit Jahrzehnten nicht nur wichtig, sondern geschaffen werden „vom Fernsehen“, um die Erhaltung seiner selbst Willen. Aber reicht das aus? Kann sich das Fernsehen erhalten durch vereinzelte Medienereignisse oder Pseudo-Medienereignisse?
Denn was muss dir Fernsehen bieten? Ich überlege, … für vieles nutze ich Apps, Mediatheken oder Streamingdienst. Außer für Live-Medienereignisse, die nur exklusiv im TV laufen. Dafür schalte ich ein, dafür setze ich mich noch vorbereitet um 20:15 Uhr auf die Couch. Was wäre das Fernsehen ohne Medienereignisse – damals aber noch wesentlicher heute als seine eventuelle Existenzberechtigung.
Ich geh‘ heute live… bist du dabei?

Und irgendwie kommt mir da noch etwas ganz anderes in den Sinn: es wird immer wieder diskutiert, dass Social Media bestimmte Elemente des Fernsehens imitiert. Definitiv.
Und auch die Media Events werden dort wichtiger: Iich gehe Samstag live, seid dabei“, sagen Influencer. Und dann sitzen da die Follower und sind dabei… Zeitgleich. Auf jeden Fall live. Und auch hier wird also eine Vergemeinschaftung des Publikums imitiiert.
Werden wir nach der viel gepriesenen Unabhängigkeit von vorgegebenen Zeiten der letzten Jahrzehnte nun doch wieder auf terminierte Live-Ereignisse getrimmt? Es macht das Ganze doch irgendwie zu etwas Besonderem… Man bereitet sich vor mit Snacks und vorherigem Toilettengang.
Was auch kommen mag: ich bin bereit.

Stern (2022): https://www.stern.de/kultur/tv/-wetten–dass——zehn-millionen-schalten-ein—deutlich-weniger-als-2021-32929780.html Abruf 02.12.2022.
Dayan, Daniel / Katz, Elihu: Media Events. The Live Broadcasting of History. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1992.


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