Von Kim Carina Hebben
Im letzten Beitrag wurde gefragt, und aufgezeigt, was noch vom Fernsehen übrig ist. Delinear und konvergent weisen auch seine gegenwärtigen Aktualisierungen typische Strukturmerkmale des Fernsehens auf. Dabei ändert sich nicht nur das Fernsehangebot, sondern auch die Umgangsweisen seiner Nutzer*innen, für die Fernsehen nicht nur das Gerät im Wohnzimmer, sondern auch die Mediathek auf dem Tablet oder das Video auf YouTube ist. Besonders die Fragmentarisierung seiner Inhalte, zum Beispiel in Teasern und kurzen Videos in den Sozialen Medien, laden zur Partizipation ein.
Am Beispiel von Formaten rund um das Thema Essen können diese Beobachtungen fortgeführt werden. Dabei wird der Begriff Medienkonsum im Folgenden unter verschiedenen Lesarten gedeutet.
Hannibal konsumieren – Teilhabe durch Einverleibung
Obwohl die NBC-Serie Hannibal (USA, NBC, 2013-2015) bereits seit 2015 abgedreht ist, besteht auch heute noch ein reger Fandiskurs und Inhalte aus und rund um die Serie werden weiterhin täglich zirkuliert. Auch die Fortsetzung der Story in einer vierten Staffel ist weder von Fans, noch von Produzent Bryan Fuller, noch von den Hauptdarsteller*innen ausgeschlossen und wird stetig als Wunsch aktualisiert. Produzent Bryan Fuller ist auf Twitter auch 7 Jahre nach Sendeschluss im aktiven Dialog mit Fans und hält so das Franchise aufrecht, ohne dass eigentlich neue offizielle Inhalte ergänzt werden.
Die Darstellung der Figur des Kannibalen Dr. Hannibal Lecter als Gourmand (als Liebhaber des Essens) und die besondere Ästhetisierung des Essens in der Serie Hannibal sind prädestiniert, um die Denkfigur des Sich-Einverleibens von Essen und Medien unter Aspekten der Teilhabe zu perspektivieren. Der Blog und das gleichnamige Kochbuch Feeding Hannibal leisten dabei einen bedeutenden Transfer: Durch Bonusmaterial wie Einblicke hinter die Kulissen, die Entwürfe und Zeichnungen für die Gerichte und die Möglichkeit des Nachkochens der für die Show kreierten Rezepte, wird den Fans eine besondere Form der Partizipation durch Einverleibung geboten.


Das hier gezeigte Beispiel der Ortolanen ist besonders prekär, da die Zubereitung dieser französischen Delikatesse illegal ist. Auf dem Blog sieht man, wie die Food Stylistin Janice Poon versucht die Vögel aus Gnoccimasse oder Marzipan zu modellieren. Im Kochbuch wird das Rezept mit gefüllten Wachteln neu interpretiert und Geschmack, Konsistenz und Zutaten möglichst nachempfunden, damit es zugänglich wird und die Teilhabe am Gericht und der Erfahrung trotzdem ermöglicht wird. Auch in der privaten Facebook-Fangruppe „Fannibals [Fans of NBCs Hannibal]“ oder auf dem YouTube-Kanal Hannibals Kitchen werden weiterhin Gerichte der Show nachgekocht und die Ergebnisse mit dem Fandom geteilt.
Sich Zeit lassen – 100-Hour-Lasagna
Ein weiteres Beispiel, das das Verhältnis von medialer Inszenierung von Essen und Begehren zusammenführt, ist der YouTube-Kanal des Food Bloggers Alvin Zhou. Videos wie 100-Hour-Lasagna veranschaulichen den liebevoll anmutenden, persönlichen Prozess der Nahrungszubereitung.
Hier wird das Motiv des Sich-Zeit-Lassens als Form des Begehrens durch die mise-en-scène und die Untertitel etabliert. Die Zuschauenden werden durch die filmischen Mittel in den intimen Akt der Zubereitung einbezogen. Sie werden dabei durch die Kameraperspektive als Beobachter*innen positioniert. Gleichzeitig wird jedoch die vierte Wand durchbrochen, indem die Zuschauer*innen durch den inneren Monolog des Kochs direkt angesprochen werden. Ein besonderes Stilmittel der Videos ist der personifizierende Umgang mit den Lebensmitteln und die liebevolle persönliche Ansprache. Dabei werden abwechselnd die Zutaten und Zuschauenden angesprochen und so in den Kochprozess miteinbezogen. Auch handelt es sich hier nicht um ein klassisches Rezeptvideo, da es keinerlei Mengenangaben oder genaue Informationen über Garzeiten oder Temperaturen gibt. Stattdessen wird der Fokus auf die Tageszeiten und die langen Abstände zwischen den einzelnen Zubereitungsschritten gelegt. Nachdem alle vorbereiteten Teile des Gerichts in einer Auflaufform zum fast fertigen Gericht zusammengesetzt wurden, werden die Nudel-Fleischsoßen-Béchamel-Schichten ein letztes Mal zum Ausruhen zwischengelagert, bis sie nach 100 Stunden Zubereitungs- und Ruhezeit mit Käse bedeckt in den Ofen und zuletzt auf den Teller ihres Schöpfers gelangen. Besonders der letzte Schritt ist im Kontext des Videos interessant, da Zhou ankündigt die Lasagne als Einweihungsgeschenk an Freunde zu verschenken. Dennoch wird das über 100 Stunden liebevoll zubereitete und umsorgte Gericht letztendlich nicht als Ganzes verschenkt, sondern der finale Akt des Verzehrens schleißt das Video ab – ein typisches Element für Rezept- und Zubereitungsvideos.
Gegen und mit dem Flow
Zhous Video kann als Antwort auf die ansonsten schnell getakteten, oft schon hektisch wirkenden Rezeptvideos gelesen werden. 100-Hour-Lasagna funktioniert anders als oft nur wenige Minuten lange Kochanleitungen und zeigt eine Alternative zum vorherrschenden Wettbewerbsmotiv vieler Kochformate. Auch ist eine Nähe zu den ästhetischen Mitteln von Hannibal zu erkennen, wie zum Beispiel die fragmentarisierte Darstellung der Hände, Musik und Ton, die Farbgebung sowie das Tempo.
Medienkonsum
Am Beispiel der Instagramseite der Kochvideo-Plattform Tatsy von Buzzfeed, zu der auch Alvin Zhou als Content Creator angehört, ist eine weitere Ebene der Einverleibungsmetaphorik zu erkennen. Anhand des Angebots und der Entwicklung der Kommunikations- und Darstellungsoptionen auf Instagram ist ein Einverleiben der Medien im Sinne einer Remediatisierung zu sehen. Gleichzeitig zeigt sich dadurch eine Wertschätzung der ursprünglichen Formen. Instagram gleicht sich mit seinen Live-Videos, Stories, Reels und Videos weiter dem ursprünglichen Flow des Fernsehens an und erweitert diesen durch neue Beitragsformen und -formate.
Medien schlucken andere Formen, Inhalte und Umgangsweisen. Die Zuschauer*innen sind ebenfalls in diesen Einverleibungsprozess einbezogen – die Mediennutzung wird verinnerlicht, unsichtbar und geht in Leib und Seele über. Essen, als alltäglicher und lebensnotwendiger Akt, wird hier zum Motiv und Werkzeug des medienkonvergenten Alltags, in dem wir selbstverständlich Essen und Medien konsumieren.


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