Unterbrechungen: Jon Stewart und die Politik des Fernsehens

Dieser Post stellt sich die Frage, ob es eine Politik des Fernsehens geben kann, die sich in den Unterbrechungen des Sendefluss manifestiert, in überraschenden Wechseln der Tonlage, in denen das Format nicht das tut, was es normaler Weise tun soll. Häufig wird jedoch die Fähigkeit des Fernsehens, sinnvolle Formen politischer Artikulationen zu liefern, mit dem Hinweis auf die bestimmenden Merkmale des Mediums in Frage gestellt: Das Fernsehen kennt kein Ende und lässt in seinem flow den Menschen unablässig und indifferent seine heterogenen und austauschbaren Inhalte zukommen. Die Identität des Fernsehens ist abhängig von dieser Bedingung des flows, der Auflösung von Einheiten in einem Fluss, der von Übergängen, Vermischungen, Fragmenten und Wiederholungen bestimmt ist, und es so schwer macht, Grenzen zu definieren. Ist es unter diesen Voraussetzungen möglich, politisch zu sein, pointiert eine Kritik an der Welt zu formulieren oder deren Veränderung zu ermöglichen, wenn es immer weiter geht und das Fernsehen eher als Maschine erscheint,  die gesellschaftliche Verwerfungen verarbeitet, um Inhalte für seine Formate zu finden?

Hier soll aber deutlich werden, dass diese Limitation, die Bindung der Formen des Fernsehens an die Ausstrahlung eines Dauersignals, gleichzeitig die Stärke oder Besonderheit des Mediums darstellt. Denn diese Qualität des Fernsehens ist der Grund für die Produktivkraft des Mediums, andere kulturelle Gegenstände wie die vielfältigen Variationen des Seriellen, der Show, der Reality Formate hervorzubringen. Und es markiert den wichtigsten Unterschied zum Internet und digitalen Medien, auch wenn die digitalen Übertragungswege des Fernsehens viele, aber nicht genug Einwände gegen eine Einsicht formulieren, dass das Fernsehen noch von diesem flow bestimmt ist.

Dass es diesen Fluss gibt, macht die Frage nach der Möglichkeit, ihn zu unterbrechen, erst interessant. Nur was fließt kann auch versiegen. Der Fluss ruft die Unterbrechung als (unwahrscheinlichen) Fall auf, und genau hier lässt sich eine besondere Form der Inszenierung politischer Momente im Fernsehen anschließen.  Lorenz Engell betont mit dem Konzept der Enden des Fernsehens eine besondere Zeitlichkeit des Fernsehens, wenn beispielsweise in Extremsituationen wie dem 11. September die Identität des Fernsehens auf dramatische Weise greifbar wird, weil der Sendefluss eine Unterbrechung zu finden droht. Die Unterbrechung muss aber nicht immer von Außen diktiert werden. Eine Politik des Fernsehens kann auch bewusst mit dieser Unterbrechung arbeiten, vielleicht auch kokettieren, um auf intensive Weise eine politische Botschaft zu vermitteln. Eine solche Unterbrechung findet sich, als Jon Stewart in The Daily Show, der demnächst seine Tätigkeit in diesem Format einstellen wird, im Juni 2015 auf die Ermordung von 9 AfroamerikanerInnen  in einer Kirche in Charleston durch einen weißen Rassisten reagiert:

http://https://www.youtube.com/watch?v=mjzrvRKv6Ks

The Daily Show mag ein Format sein, dass unablässig gesellschaftliche Verwerfungen in satirische Inhalte verwandelt, sich  selbst auf die Fernsehrealität und die mediale Repräsentation von politischen Inhalten bezieht und daher weniger die politische Wirklichkeit als die mediale Wirklichkeit in den Blick nimmt. Diese Wiederaneignung und Rekontextualisierung von Fernsehinhalten passt wunderbar zum Flow-Charakter des Mediums. Aber natürlich ist The Daily Show auch ein gesellschaftliches oder ein kulturelles Forum: Die Form der Sendung und wie es Inhalte zusammenbringt und verarbeitet, bildet die symbolische Architektur für ein (besonderes) Zusammentreffen von Menschen und Ideen, was dazu führt, dass The Daily Show häufig als das beste oder auch einzige politische Format des amerikanischen Fernsehens bezeichnet wird.

Teil dieser besonderen Architektur dieses Forums und der Struktur der Sendung ist Jon Stewarts politische Rhetorik der interruptio. Jon Stewart erweckt immer wieder den Eindruck, als könne aus dem Grundrauschen einer politischen Satire (die sich meist an den plumpen Versuchen der Republikaner, der Tea Party und des Senders Fox abarbeitet, die gesellschaftliche Realität auf aggressive Weise umzudeuten) gelegentlich für kurze Momente eine ‚echte‘ Betroffenheit und Wut hörbar werden.

Diese (beiläufige) Rhetorik der Unterbrechung und des überraschenden Wechsels des Tonfalls wendet Jon Stewart im Zusammenhang mit dem Massaker in Charleston auf dramatische und überdeutliche Weise an. Er spielt mit den Erwartungen, er beschreibt die Funktion seines Formates, komisch zu sein, erklärt, warum er heute nicht komisch sein wolle, er wechselt den Tonfall und füllt die fünf Minuten seines in die Sendung einführenden Monologs mit einem Vortrag über den Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft: Es sei falsch, immer wieder zu betonen, dass es sich bei solchen Verbrechen um die Taten von Einzelnen handle. Er benennt explizit den strukturellen Rassismus, der die amerikanische Gesellschaft als Effekt von ökonomischen, kulturellen und anderen Ungleichheiten prägt.

Dieser Moment ist intensiv und rührend, und es wäre zynisch, zu behaupten, dass er keine Wirkung auf seine Zuschauer ausübt, zynisch deswegen, weil die Unterbrechung des Bekannten und die Überraschung immer das Potenzial dazu hat, die Rezipierenden zu berühren und dies für politische Inhalte produktiv gemacht werden kann. Es ist hier wichtig, noch einmal zu betonen, dass diese Unterbrechung zum Wesen des unaufhörlichen Fernsehens auf negative Weise dazugehört, dass die Form des Fernsehens sich auch dafür anbietet, so gebraucht zu werden, als Drohung, dass das, was immer läuft, auch enden kann.

Allerdings stellt sich auch die Frage, ob diese Art des Sichtbarmachens von Empörung oder Ungerechtigkeit nur als Ausnahme möglich ist, was bedeuten würde, dass das Fernsehen nur gelegentlich (so) poltisch werden kann. Im Gegensatz dazu, besteht auch das Problem, dass das Fernsehen mit dieser Unterbrechung spielt. Es ist, wie bereits erwähnt, auch ein Kennzeichen der besonderen Rhetorik von Jon Stewart, die er wunderbar beherrscht, aber auch wiederholt und kalkuliert einbaut, so dass es nicht mehr als Unterbrechung oder Überraschung begriffen werden kann. Gehört das Spiel der Unterbrechung zum Spiel des Fernsehens dazu? (Newcomb und Hirsch deuten das an, wenn sie von einer rituellen Funktion der Sitcom oder anderer Formate sprechen, geläufige Vorstellungen durch komische Umkehrungen aufbrechen zu können).

Problematisch ist auch, dass die Ansicht, nur die Unterbrechung des Gewohnten könne politisch sein, so etwas wie ein Stereotyp einer kritischen Film- und Fernsehwissenschaft darstellt, die immer wieder betont, dass nur eine reflexive In-Frage-Stellung der Repräsentation politisch sein könne.  Diese Reflexion über die Bedingungen einer Repräsentation von Welt offenbart sich in disruptiven Momenten , welche den Erzählfluss unterbrechen.  Aus diesem Grund seien die Filme von Godard so politisch, weil sie sich immer auf die Natur der filmischen Erzählung beziehen. Diese Ansicht kehrt aber auch, etwas aktueller, in den filmphilosophischen Gedanken Rancières zur Politik filmischer Bilder auf, wenn er in dem Aufsatz „Die Geschichtlichkeit von Film“ einen Gegensatz zwischen den poetischen und den ästhetischen Momenten (die die Narration oder filmische Konstruktion immer hintertreiben) identifiziert. Das Politische mag sich in den unterschiedlichsten, vielleicht auch beiläufigsten Dingen manifestieren, aber es bleibt dabei immer Ausnahme und Abweichung. Dieses Argument ist dumm, denn es schließt beispielsweise aus, dass das puristische, einem einfachen Abbildungsgebot folgende Kino von Eric Rohmer als politisch betrachtet werden könnte, auch wenn es wenig andere Filme gibt, die sich so für die Wirklichkeit interessieren.

Es ist auch verlockend, in diesem Kontext an andere Beispiele für eine Politik des Fernsehens zu erinnern, etwa als in Günther Jauch, ebenfalls mit einem Moderator, der diese Tätigkeit demnächst beenden wird, der Aktivist Harold Höppner, der sich mit der Organisation Seawatch um Flüchtlinge im Mittelmeer kümmert, den Gleichmut dieser politischen Repräsentation unterbricht und spontan zu einer Schweigeminute einlädt, sie sogar gegen einen unwilligen Moderator aggressiv durchsetzt. Man mag diese Schweigeminute selbst für eine platte Form einer politischen Artikulation halten, angesichts dessen, was unterbrochen wird – in einer Sendung, die versucht, die politischen Konflikte immer wieder in seiner Inszenierung zu planieren, die tatsächlich das Leid der Flüchtlinge im Mittelmeer mit dem ‚Leid‘ von Menschen in einen Bezug setzen will, die eine Bürgerinitiative gründen, welche sich gegen Flüchtlingsheime in ihrer kleinen Stadt wendet – ist es ein guter, ein wirkungsvoller und ein hochpolitischer Akt, die Unterbrechung des Formats zu erzwingen.

Letztendlich ist die Bedeutung einer solchen Unterbrechung immer relational zu sehen, in Bezug auf die emotionale Wirkung, die er für die einzelnen Zuschauenden entfaltet, in der Fähigkeit, Gewissheiten in Frage zu stellen, oder den eigenen Gleichmut aufzubrechen, darüber nachzudenken, was in der Welt passiert und wie es von den Medien berichtet und nahe gebracht wird. Sie lädt dazu ein, darüber nachzudenken, warum die eigene Aufregung darüber selten Konsequenzen zeitigt. Es ist auch ein Aspekt eines ästhetischen Genießen des radikalen Wechsels von einem Zustand zu anderen, die nachträglich erst an einen politischen Inhalt gekoppelt werden muss. Die Unterbrechung ist nur eine von vielen Möglichkeiten, etwas Politisches auf politische Weise zum Ausdruck zu bringen, aber sie steht vielleicht in besonderer Beziehung zum Fernsehen, seiner Form und seinen Formaten.  Auf jeden Fall schätze ich die Fähigkeit des Fernsehens und seines flows oder von Jon Stewart und The Daily Show, uns zwar nicht häufig genug, aber doch immer wieder an eine elementare Form der politischen Ansprache zu erinnern.

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