Landauer, der Präsident: Degetos kleine Spielfilmimitationen

In einer fernen Fernsehvergangenheit gab es den Begriff des Fernsehspiels für abgeschlossene, nicht serielle fiktionale Fernsehforrmate, heute ist der Begriff Fernsehfilm gebräuchlicher. Beim Sender ARD werden solche Werke an einem Tag der Woche gar unter die Rubrik „Filmmittwoch im Ersten eingeordnet“. Genrebegriffe im Fernsehen sind überaus beliebig und es ist wenig produktiv sich damit länger zu beschäftigen. Allerdings sagen sie viel darüber aus, wie die Sender selbst ihre Programme positionieren wollen und an welchen Vorbildern sie sich orientieren. In der amerikanischen Version des Fernsehspiels, dem sogenannten „Made-For-TV-Movie“ war das immer deutlich gewesen: Es sind spielfilmartige Erzählungen, deren Ästhetik allerdings, etwa durch die exzessive Verwendung der Großaufnahme oder durch eine Betonung melodramatischer Momente vor den Werbepausen, den Bedingungen des Fernsehen angepasst sind, und die mit einen wesentlich kleineren Budget auskommen müssen und daher anders als der Film häufig auf Außenaufnahmen oder Massenszenen verzichten müssen. Ein weiteres Merkmal des „Made-for-TV-Movie“, der in den 1970er und 1980er Jahre seine Blütezeit hatte, ist die thematische Bindung an gesellschaftlich brisante Themen wie Drogensucht, Behinderung oder eheliche Gewalt, die einem im Gegensatz zur Serie einmalig gezeigten Programm, das sich nicht sukzessive eine Zuschauerschaft bilden konnte, eine größere Aufmerksamkeit verschaffen sollen.


Es ist verblüffend, dass der „Filmmittwoch im Ersten“ heute noch häufig dieselben Merkmale aufweist. Besonders eine Produktionsfirma zeichnet sich durch solche kleine Spielfilmimationen aus: Degeto produziert endlose Ableger von Kinofilmen, entweder Imitationen von romantischen Komödien wie nahezu alle Filme mit Christiane Neubauer, Biopics über bekannte Persönlichkeiten, dramatische Werke über Ereignisse der deutschen Geschichte oder über gesellschaftlich relevante Themen, die dem Programm bereits vor Ausstrahlung genug Aufmerksamkeit verschaffen. Der am 16.10. 2014 erstausgestrahlte Fernsehfilm „Landauer, der Präsident“ ist solch ein Biopic. Er erzählt die faszinierende Geschichte über den jüdischen Präsidenten des FC Bayern München Kurt Landauer, der dem Verein 1932 die erste deutsche Meisterschaft verschaffte, 1933 emigrieren musste, durch die Verbrechen der Deutschen fast die ganze Familie verlor und dennoch nach dem Krieg zum Verein zurückkehrte und ihm noch einmal bis 1952 als Präsident vorstand. Auch dieser Fernsehfilm lebt wie so viele andere Fernsehfilme mit gesellschaftlich relevanten Inhalten von einem Ereignischarakter, der etwa durch zahlreiche Artikel über Kurt Landauer in den Zeitungen vorbereitet wird. Dabei wird immer wieder auf den interessanten Umstand hingewiesen, dass es die Münchner Ultras der Schickeria waren, die die fast vergessene Geschichte Landauers wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht haben. Der Film ist als Reaktion auf diese Diskussion zu betrachten, er endet gar mit einer Realszene, die die  eine Choreo der Ultras in der Allianzarena zu Ehren des ehemaligen Präsidenten zeigt.
In vielerlei Hinsicht mag der Film als gelungener Blick auf die Nachkriegsgeschichte gelten: Er vermittelt die Feindseligkeit aber auch das schlechte Gewissen des Nachkriegsdeutschlands gegenüber den wenigen zurückkehrenden Juden, die demütigende Instrumentalisierung Landauers, dem die alliierten als ‚verfolgter Deutscher‘ nichts abschlagen können, die Abscheu anderer zurückgekehrter Juden über den immer noch herrschenden Antisemitismus und ihre Gewissheit darüber, dass man in diesem Land nicht mehr leben kann, Landauers naive Ignoranz gegenüber dieser Ablehnung aus blinder Liebe zu seinem Verein. In diesen Momenten bebildert und erschließt der Film überaus beeindruckend die Gefühle der jüdischen Rückkehrer und die Atmosphäre des Nachkriegsdeutschlands, ebenso gibt es immer wieder gelungene Inszenierungen kleiner dramatischer Momente, die den Figuren etwas Tiefe verleihen.
Das wenigstens leistet der Filmmittwoch im Ersten und damit hat dieses Format vielleicht auch schon die an es gestellten Ansprüche erfüllt. Es lässt sich auch nichts einwenden gegen das Handwerk der beteiligten Schauspieler, die Verkörperung Landauers durch Josef Bierbichler und vieler überzeugender Nebenfiguren. Was aber irritiert und nervt ist die geistlose und indifferente Nachahmung einer Spielfilmästhetik, ein Realismus oder Naturalismus, der nicht wehtun soll, eine klassische Auflösung der Szenen, die gelegentlich mit längeren, bedeutungsvollen Einstellungen operiert und immer wieder spektakuläre Momente, vor allem in den Fußballspielen oder der überraschenden Rückkehr Landauers in eine Vereinssitzung inszeniert. Diese Imitation einer Spielfilmästhetik wäre eigentlich kein Problem, aber sie führt dazu, dass der Film nie mehr sein kann, als die Bebilderung einer Geschichte, die aus sich heraus schon interessant ist und eigentlich gar keine Bebilderung braucht. Der Film bemüht sich zwar ansatzweise um eine eigenständige Ästhetik, so operiert er mit digital nachbearbeiteten Schwarzweißaufnahmen der Trümmerlandschaften der Stadt mit einkopierten Figuren. Was aber wohl als Mittel der Verfremdung eingesetzt wurde, wirkt häufig auch wie der ungelenke Versuch, der offensichtlichen digitalen Nachbearbeitung ein Motiv zu geben. Häufig offenbart sich die unentschlossene Inszenierung in kleineren Mängeln. Es drängt sich immer wieder ein Unterschied zu Filmproduktionen auf, die mangelnde Zeit, die es häufig nur erlaubt, bestimmte Szenen allenfalls anzureißen, so dass etwa eine lange Szene, die auf den bayrischen Land spielt und als so etwas wie eine Idylle fungieren soll, verpufft oder peinliche, unpassende Momente einführt, wie etwa in Zeitlupe über ein Wiese hüpfende Dirndlmädel. Das wohl hartnäckigste visuelle Stereotyp der aktuellen Filmkultur, die Zeitlupenaufnahme, wird immer wieder bemüht, ebenso wie Kraneinstellungen, die durch die Obersicht, beispielweise in Stadionaufnahmen, die Erhabenheit des Momentes betonen sollen. Die musikalische Untermalung ist ebenfalls eine blutarme Imitation eines typischen Hollywoodscores. Ich könnte auf den Regisseur Hans Steinbichler hinweisen, dem wie bereits erwähnt in der Schauspielerführung und der Inszenierung wenig vorzuwerfen ist. Aber eigentlich brauche ich das nicht, denn der Film fühlt sich häufig so an, als sei er auf Autopilot gedreht. Das Problem ist aber nicht die Imitation einer Spielfilmästhetik, das Problem ist, dass etwas zitiert und nachgeahmt wird, dass selbst bereits ein sehr formelfhafte Format geworden ist, in diesem Fall das typische Kinobiopic, das beispielsweise mit das Wunder von Bern ein abschreckendes Beispiel des Ereigniskinos in der Filmkultur hervorgebracht hat.
Ich möchte hier kurz zu der am Anfang aufgeworfenen Unterscheidung zwischen Fernsehspiel und Fernsehfilm zurückkommen. Bei beiden ging und geht es häufig um die simple Bebilderung von Ereignissen. Aber während das ,klassische‘ Fernsehspiel der 1960er und 1970er Jahre mit einer häufig minimalistischen, zum Teil theaterhaften Inszenierung, mit dem Verzicht auf große, dramatische Momente, niemals etwas anderes wollte als Ereignisse zu bebildern um damit einer eigenständigen Ästhetik nähergekommen ist oder in einigen Experimenten wie Fassbinders Berlin Alexanderplatz oder Heimat von Edgar Reitz darum gerungen hat, eine eigenständige auf die Geschichte und das Anliegen abgestimmte, experimentelle und zum Teil auch sehr anstrengende Ästhetik zu etablieren, stellt der heutige Fernsehfilm zwar einen interessanten Hybriden zwischen Fernsehen und Film dar, die aber nur das Derivat von einer Kinokultur ist, die bereits selbst die Imitation einer eigenständigen Filmästhetik darstellt. Dies mag für viele Zuschauer kein Problem sein, aber so interessant die Geschichte von Kurt Landauer ist, ich habe den Film zu weiten Teilen mit einem schlechten Gefühl gesehen, ich habe mich tatsächlich geärgert. Ich kann mit dieser Ästhetik von Degetos häufig zu großen kleinen Spielfilmimitationen, die sich so unangenehm anfühlt, weil sie niemals wehtun will, nichts anfangen und genieße das Fernsehprogramm eher in den Momenten, in denen deutlicher wird, dass das Medium bei sich ist.

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